Das Medienhaus Wien hat die Regierungsinserate in österreichischen Zeitungsverlagen (Print und Online) unter die Lupe genommen.

Foto: STANDARD/Seywald

Wien – Eine "Kakophonie" der Regierungskommunikation, der jede Logik fehle, und ein Wirrwarr, das geprägt sei von persönlichen und parteipolitischen Vorlieben: Der Befund von Andy Kaltenbrunner zu den Inseratenausgaben der türkis-grünen Bundesregierung fällt vernichtend aus. Der Medienwissenschafter hat mit dem Medienhaus Wien die Ausgaben des Jahres 2021 für sogenannte Medienkooperationen in Österreichs Zeitungsverlagen analysiert und kommt zu dem Schluss: Der Grundtrend in Richtung Boulevardförderung gehe weiter. Und nicht nur das. Er hat sich sogar noch verstärkt, weil Gratiszeitungen von den Regierungsinseraten überproportional profitieren.

Das sind zentrale Ergebnisse der Studie "Scheinbar transparent III. Eine Analyse der Inserate der Bundesregierung in Österreichs Tageszeitungen im Jahr 2021 und eine Trendanalyse für 2022". Sie wurde am Dienstag präsentiert und fußt auf den Zahlen nach dem Medientransparenzgesetz, die bei der RTR eingegeben werden müssen.

Leichter Rückgang der Ausgaben 2021

28,18 Millionen Euro: So viel gab die türkis-grüne Bundesregierung im Jahr 2021 für sogenannte Medienkooperationen in Österreichs Zeitungsverlagen aus. Damit wurde für diese und andere Informationsformate in den Print- und Online-Ausgaben etwas weniger aufgewendet als im Jahr davor, als 33,5 Millionen Euro ausgegeben wurden. Über alle Medien hinweg waren es im Jahr 2021 rund 45 Millionen Euro. So hoch wie in den vergangenen zwei Jahren waren die Ausgaben für Inserate in Zeitungsverlagen noch nie. Die Regierung erklärt das mit der Notwendigkeit von Informationsmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie. Zum Vergleich: Vor den Corona-Jahren betrugen die Inseratenausgaben der Regierung 2018 rund 17,6 Millionen Euro und 2019 etwa 13,4 Millionen Euro.

59 Prozent aller Regierungsausgaben für bezahlte Einschaltungen in Print- und Online-Ausgaben der Tageszeitungen entfielen 2021 auf die drei Boulevardmedien Kronen Zeitung (7,11 Millionen Euro), Österreich/Oe24 (4,74 Millionen Euro) und Heute (4,67 Millionen Euro). 23 Prozent verteilten sich auf die sieben Bundesländerzeitungen (Vorarlberger Nachrichten, Neue Vorarlberger Tageszeitung, Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten, OÖ Nachrichten, Kleine Zeitung, Oberösterreichisches Volksblatt), elf Prozent auf die beiden nationalen Qualitätszeitungen (DER STANDARD, Die Presse) und sieben Prozent auf das "Midmarket-Paper" Kurier, so die Einstufung des Medienhauses Wien.

In Betrachtung nach Geschäftsmodellen konnten Gratiszeitungen 2021 anteilig leicht zulegen und verzeichneten ein Drittel aller Inseratenerlöse.

ÖVP und dann lange nichts

Eklatant ist dabei das Ungleichgewicht zwischen den ÖVP-geführten Ministerien und jenen der Grünen. Die Riege der ÖVP-Ministerinnen und -Minister sowie der Bundeskanzler gaben 2021 mehr als zehnmal so viel aus wie die Grünen. Seit 2020 ist das Bundeskanzleramt jenes Ressort, das unter den Regierungsstellen den mit Abstand größten Betrag für Inserate zur Verfügung hat. Anders als in Deutschland, wo die bezahlten Einschaltungen für Information zum Pandemiegeschehen beim Gesundheitsministerium ressortieren, sind diese Agenden in Österreich beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Um rund 11,76 Millionen Euro inserierte das Kanzleramt 2021 in Österreichs Tageszeitungen und deren Online-Kanälen.

Ausgaben pro Leserin und Leser

Bei der Aufschlüsselung, wie viel Geld sich die Regierung einzelne Leserinnen und Leser in den verschiedenen Medien kosten lässt, kommt das Medienhaus Wien je nach Zeitungstitel zu höchst unterschiedlichen Berechnungen. Eine solche Ausgabenliste nach Zeitungen führt wie schon in früheren Jahren Österreich/Oe24 an, das bei einer laut Mediaanalyse von 564.000 auf 515.000 gefallenen Leserzahl pro Kopf 8,30 Euro Inseratenerlöse bei der Bundesregierung erzielen konnte. Zum Vergleich: DER STANDARD kommt als Schlusslicht auf nur 2,20 Euro, auf die Oberösterreichischen Nachrichten entfallen 2,37 Euro. Der Schnitt liegt bei 4,12 Euro.

Gratiszeitungen werden bevorzugt

Für Studienleiter Andy Kaltenbrunner sind solche Unterschiede "nicht erklärbar", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Der Trend zur Gratiszeitung ergebe sich aus der Kanzleramtsformel bei den Inseratenausgaben, wonach sich die Buchungen in Medien nicht nur an den Leserzahlen nach der Mediaanalyse orientierten, sondern auch an der Druckauflage und der vertriebenen Auflage. "Die sehr viel Papier produzieren, profitieren." Diese Formel begünstige Gratiszeitungen und benachteilige andere. "Logisch ist das nicht, sondern eher ein Retromodell der Medienförderung. Inserate sollen aber Bürger erreichen und kein Geschäftsmodell begünstigen", kritisiert Kaltenbrunner.

Mediengruppe Österreich auf Platz eins

Auffällig ist, dass 2021 das Innenministerium unter dem damaligen Innenminister und heutigen Bundeskanzler Karl Nehammer und das Landwirtschaftsressort von Elisabeth Köstinger Österreich/Oe24 als wichtigsten Zeitungstitel für die eigene Informationstätigkeit eingeschätzt hatten und mit mehr Inseratenbudget bedacht haben als alle anderen Titel. Sogar 90 Prozent der Inseratenausgaben des Ressorts von Karl Nehammer gingen an die drei Boulevardmedien. "Das gehorcht keiner Kommunikationslogik und ist extrem fragwürdig, immerhin geht es da um eine ganze Menge öffentliches Geld", sagt Kaltenbrunner, der die Frage aufwirft, ob da nicht im Hintergrund Deals zwischen der Politik und Medien laufen, denn: "Das würde in das Bild der Vorwürfe passen, wenn da unverhältnismäßig bestimmte Medien begünstigt werden."

Ausnahme Umweltministerium

Die von grünen Ressortchefinnen geführten Ministerien zeigen bei ihren vergleichsweise geringeren Inseratenausgaben deutliche Abweichungen zum durchschnittlichen Mediamix, dokumentiert die Studie. Im Umweltministerium von Leonore Gewessler wurden bei einem Etat von 1,45 Millionen Euro DER STANDARD und Die Presse stärker gebucht als etwa Kronen Zeitung, Österreich/Oe24 und Heute. Offensichtlich gebe es hier einen "crossmedialen Schaltplan", der viel stärker auch auf Fernsehen und Online setze, als das in anderen Ministerien der Fall sei, erklärt Kaltenbrunner. Nur mehr ein Drittel der Ausgaben ginge an Print. "Das ist eine logische Verschiebung. Wenn man einen Schaltplan macht, verlieren die Printmedien", sagt Kaltenbrunner.

Online unterrepräsentiert und ohne Systematik

Etwas mehr als ein Zehntel der Ausgaben für Informationsausgaben im journalistischen Umfeld von Zeitungsverlagen entfällt auf Online-Kampagnen, genauer: 2,979 Millionen der insgesamt 28,180 Millionen Euro. "Der Überblick über die Digitalerlöse der Nachrichtenportale von Österreichs Tageszeitungen zeigt dann erneut, dass die drei Boulevardtitel auch im WWW wesentlicher höher als die Mitbewerber eingeschätzt werden. Die Gesamtbuchungen auf den Online-Portalen erscheinen dann als eine anteilige Verlängerung der Printinserate in das World Wide Web", schreiben die Studienautoren und Studienautorinnen. Beim Einsatz der Werbemittel finde sich "keine Systematik, die sich von gemessenen Reichweitendaten – wie etwa jenen der Österreichischen Web-Analyse – ableitet".

Social Media und Inserate auf null gestellt

Erstmals haben 2021 die Buchungen der Bundesregierung im Social-Media-Bereich, also für Facebook, Google, Youtube und weitere internationale Plattformen, mit 1,16 Millionen Euro die Millionengrenze überschritten. Diese Trends und dass der Printanteil am Buchungsmix zurückgehe, zeigten die Zahlen des ersten Quartals 2022, die auch Teil der Analyse sind. In einigen Ministerien, deren Ressortverantwortliche sich aus der Politik zurückzogen, wurden die Inseratenausgaben drastisch zurückgefahren. Was wiederum ein Indiz dafür sei, dass es einigen Politikerinnen und Politikern nicht um die Befriedigung von Informationsbedürfnissen der Bevölkerung gegangen sei, sondern dass die Inserate gezielt eingesetzt wurden, um Personen in ein gutes Licht zu rücken.

Das traditionell besonders informationsfreudige Finanzministerium etwa, selbst im Zentrum staatsanwaltlicher Ermittlungen und von interner Revision zu seinen Inseratenausgaben, hat die Investitionen unter neuer Führung im ersten Quartal 2022 auf null gestellt.

Neuaufstellung der Inserate und Medienförderung

Kaltenbrunner fordert die Regierung auf, Kommunikationsberichte zu erstellen und die Kriterien für Inseratenschaltungen transparent zu machen: "Jede Supermarktkette macht das. Warum sollen das öffentliche Stellen nicht tun?" Inserate würden immer noch als indirekte Medienförderung gesehen, das gehöre komplett entkoppelt. So führe das zu einer "absurden Medienpolitik", die dem Journalismus nicht helfe. "Sie fördert falsche Dinge, ist rückwärtsgewandt, steht unter Korruptionsverdacht und erreicht die Bürgerinnen nicht so, wie sie erreicht werden sollten", kritisiert Kaltenbrunner.

Mediensterben fatal für die Demokratie

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat angekündigt, die Kriterien für Regierungsinserate sowie die Presseförderung auf neue Beine zu stellen. Kaltenbrunner mahnt zur Eile, denn derzeit sei die Gemengelage für Journalismus und Medien sehr schwer – auch mit Blick auf die Papier- und Energiepreise. "Wir haben eine Inseraten- und Förderpolitik, die Papier fördert statt digitaler Innovationen, das ist kontraproduktiv." Wenn es der Regierung nicht bald gelinge, "vernünftige Maßnahmen" zu ergreifen, dann "wird das für viele Zeitungsverlage fatal". Und für den Journalismus insgesamt: "Wo Journalismus verlorengeht, leidet die Demokratie", sagt Kaltenbrunner und verweist auf Studien, wonach nach dem Mediensterben die Bereitschaft, sich an Wahlen und am öffentlichen Diskurs zu beteiligen, sinke. "Österreich steht derzeit auf der Kippe." (Text: Oliver Mark, Grafiken: Sebastian Kienzl, 5.7.2022)