Säufer Siegfried (Andreas Schager, Zw. v. li.) mit Waldvogel (Alexandra Steiner), Mime (Arnold Bezuyen) und Hagen (Branko Buchberger, v. li.).

Nawrath

Kinder sind also das Kapital, das Gold dieses mafiösen Riesenclans um Obermanipulator Wotan. Regisseur Valentin Schwarz, der aus dem Ring des Nibelungen allen Mythenzauber und -grusel weginszeniert hat und statt Kröte, Lindwurm, Gott und Gnom aktuelle Unmenschen auf die Bühne bringt, ist in dieser seiner Botschaft konsequent. Es sind die seelenversehrten Kleinen jene Schachfiguren, mit denen die Alten ihr Spiel blutig vorantreiben.

Zwei Akte lang schien es bei Siegfried auch, als hätte sich das vor Hitze dampfende Auditorium an der Verwandlung der über- und unterirdischen Figuren erfreut. Da gab es nur wenige Buhs und viel Applaus für Schwarz, der natürlich erst nach der Götterdämmerung zum Publikumsrapport antreten wird.

Lange faszinierte auch eine am Atem der Musik und auch sonst genaue Umdeutung der Vorlage: Mime scheint sich in Hundings Häuschen als Puppenspieler eingerichtet zu haben. Seinem ihm anvertrauten Siegfried, einem Burschen im erektionsfähigen Alter, hat er ein Geburtstagsfest ausgerichtet. Überall Puppen, die Geschichten erzählen. Doch der betrunkene Möchtegernsoldat Siegfried schlägt alles kurz und klein, er will ausbrechen. Mit Puppen spielt der nicht. Er steckt Mimes Kopf in die Mikrowelle und dann ins Aquarium. Das hat Slapstick-Charakter, da ist Platz sogar für ein Star Wars-Lichtschwert. Ein Geschenk Mimes, das Siegfried zerschlägt. Viele lachten, aber das verging ihnen, als sie sahen, dass Schwarz die Mythengeschichte doch nicht in Puppenform reaktiviert.

Zwillinge mit Blumen

Es ging ja wieder in ein Penthouse, wo Siegfried Fafner (Wilhelm Schwinghammer) auch nicht tötet. Der ist auch kein Höhlenwurm. Er siecht dahin als Pflegefall, der aufsteht und einen Infarkt erleidet. Kein einsamer Tod: Zeugen sind der von Fafner zum Autisten verbogene Hunding, der alt gewordene Wotan und der glatzköpfige Alberich, der Fafner Blumen brachte ...

Die Trauer hält sich in Grenzen: Wie Fafner darniederliegt, holt Siegfried einmal Eis, damit er die Drinks auch gekühlt schlürfen kann. Er isst übrigens gerne Nudeln mit Stäbchen und findet Gefallen auch an Krankenschwester Waldvogel (respektabel Alexandra Steiner). Die magische Leuchtpyramide, die bisher durch alle Ring-Teile geisterte, interessiert Siegfried jedoch nicht.

Dass er so wild rüberkommt, ist Andreas Schager zu danken. Der Tenor mit den klangvollen Krafttönen (ein Buh war zu hören) hätte wohl Energie für drei Siegfriede. An seiner Seite – als von Bandagen befreite geliftete Brünnhilde – Daniela Köhler, die mit starkem (nur selten schrillem) Ausdruck punktet.

Klangintensive Kulminationen

Wechselvoll die restliche Verwandtschaft: solide Okka von der Damerau als verarmte Erda, nobel Tomasz Konieczny (nach seinem Bühnenunfall in Walküre wieder zugegen). Alberich (Olafur Sigurdarson) wirkte diesmal solide, schauspielerisch eindrücklich Arnold Bezuyen als Mime. Er hatte jedoch in den Höhen Probleme, und mitunter stimmte auch die Koordination mit dem Graben nicht.

Cornelius Meister und das Orchester schaffen dennoch klangintensive dramatische Kulminationen in Momenten, da es auf der Bühne scheinbar heiter zugeht. Das kommt als gewichtige Subebene substanzvoll rüber. Die Balance zwischen Bühne und Graben hätte natürlich besser funktionieren können.

Dass es am Ende wieder Buhs für die Regie gab, wird mit der finalen Umdeutung der Erweckung von Brünnhilde zusammenhängen. Da bastelte Schwarz so eine Art Dreiecksbeziehung zwischen ihr, ihrem treuen Freund Grane (Igor Schwab) und Siegfried. Dass sie offenbar einen eigenen Plan hat und Siegfried zu benützen scheint, war eine reizvolle Idee. Dass sich Siegfried notgeil mit dem Faltposter einer Nackten zudeckt, war aber ein Tiefpunkt. Gut, dass Bayreuth eine Werkstatt ist, in der hoffentlich weiter experimentiert, aber manches verbessert wird, indem man es bitte weglässt. (Ljubiša Tošić aus Bayreuth, 4.8.2022)