Gruselige Regie und altbackene Ausstattung: Eine Blutauffrischung würde den Festwochen alter Musik in Innsbruck guttun. Gesanglich war es in Ordnung.

INNSBRUCKER FESTWOCHEN DER ALTEN

Er war eine militärisch-musische Doppelbegabung: Wenn ihm nicht gerade in einer Schlacht das Pferd unter dem Allerwertesten weggeschossen wurde, beaufsichtigte Friedrich II. in seiner geliebten Hofoper Unter den Linden die musikalisch-szenischen Vorgänge. "Der König steht fast beständig hinter dem Kapellmeister", beschrieb ein Musikberichterstatter die Gepflogenheiten, er sei "wirklich eben ein so guter Generaldirektor hier als Generalissimus im Felde".

Warum die Geschichte vom Alten Fritz? An dessen Hofoper war Carl Heinrich Graun (1704–1759) Kapellmeister. Und mit der Neuinszenierung von Grauns Oper Silla gingen die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik am vergangenen Freitag so richtig los. Friedrich II. höchstselbst hat zudem mit einem Prosaentwurf die Basis für das Libretto dieser Läuterungsoper geschaffen. Darin erleben wir, wie der römische Diktator Sulla (hier: Silla) seinen Job freiwillig hinschmeißt, nachdem sein gewaltsames Vorgehen in einer Liebesangelegenheit das Volk aufgebracht hat. Im Gegensatz zu Plutarch zeichnet Friedrich seinen Kollegen versöhnlicher: als Lehrbeispiel für einen Herrscher, dessen Machtrausch letztendlich von der Vernunft Zügel angelegt werden.

Wenig Feuer

Bei den Innsbrucker Festwochen hat seit 2010 Alessandro De Marchi die Zügel in der Hand. Vom Wesen her eher der spröde Gentleman-Typ, liegt dem mittelalten Römer auch als Orchesterleiter das Behutsame, fein Gearbeitete, Ausbalancierte am Herzen. Und so gelingt bei Silla speziell die Begleitung der Arien oft gewinnend.

Ob Zorn, Verzweiflung oder Liebestaumel: Unter De Marchis sanft-präziser Anleitung wird das Festwochenorchester zum gefühlvollen Stimmungsmacher. Bei der Orchestereinleitung fehlt es der Interpretation aber eminent an Esprit, Feuer und Aktivkraft; flach, flau und grau wird da musiziert im Tiroler Landestheater.

Flach und grau ist auch das Bühnenbild (von Julia Dietrich), das man anzuschauen hat. Man lernt, dass die Tempel zur Hochzeit des römischen Imperiums offenbar schon genauso ruinös waren wie heute, und dass Statuen schon seinerzeit ohne Arme herumstanden. In dieser optischen Ödnis zeichnet Georg Quander für ein Geschehen verantwortlich, das man weniger als Inszenierung denn als Armutszeugnis bezeichnen muss. Zur poetischen Bebilderung der Da-capo-Arien fällt dem ehemaligen Intendanten der Lindenoper exakt gar nichts ein. So muss in den 1970er-Jahren im Ostblock inszeniert worden sein, in einer finanziellen und ästhetischen Mangelsituation. Gruselig.

Rettende Routiniers

Glücklicherweise kann sich Quander auf Routiniers verlassen. Mit feuriger Intensität zeichnet Bejun Mehta Sillas innere und äußere Kämpfe nach. Eleonora Bellocci wehrt sich als Ottavia mit vokaler Dringlichkeit und Souveränität gegen die amourösen Angriffe des Diktators. Ottavia liebt ja eigentlich Postumio, den Samuel Marino mit klarem, hellem Counter singt. Füllig, taubenweich und wendig der Counter von Hagen Matzeit als Postumios Freund Lentulo. Holzflötenweich, aber auch etwas flau: Valer Sabadus als Metello, Sillas Ratgeber. Crisogono, dem Bösewicht der Story, verleiht Mert Süngü kämpferische Kraft. Als einziger mit Bruststimme singender Mann hat Süngü gewisse Durchsetzungsvorteile in dieser einstigen Kastratenoper. Friedrich stand im Musiktheater ja der Sinn nach Minus-Männern, vom Cis-Personal hatte er in seinen Feldzügen genug um sich.

In den Jubel des Innsbrucker Publikums mischen sich auch persönliche Zweifel. Am Vorabend seiner Ära (er amtiert noch ein Jahr) scheint De Marchi mit seiner Strategie der integralen Aufführungen von Opernraritäten in szenischer Belanglosigkeit ans Ende gelangt zu sein. Der Publikumsabfluss bei den Premieren war in den letzten Jahren subjektiv empfunden ein stetiger. Verglichen mit der Zeit seines Vorgängers René Jacobs kann man die Festwochen als verstaubt und blutleer empfinden. Die Styriarte setzt erfolgreich auf niederschwelligen Zugang und verkürzte Opern – so extrem muss man es ja auch nicht machen. Aber eine Blutauffrischung tut bei den Innsbrucker Festwochen dringend not.(Stefan Ender, 8.8.2022)