Wer im Hey Dim Sum auf die Weinkarte schaut, könnte mit gutem Grund vermuten, dass die Langenloiser Winzerdynastie Hiedler hinter diesem dezidiert gepflegten chinesischen Restaurant samt Hofgarten und zeitgenössischer Kunst an den Wänden steht: Die Weißweine, in respektabler Auswahl, stammen ausnahmslos von Hiedler – nachdem aber die Jahrgänge nirgends dabeistehen, ist das sicher nicht der Fall. Egal, die kühlen Rieslinge und Veltliner aus dem Kamptal passen so oder so hervorragend zu den fein gearbeiteten Happen des Hauses.

Josefstadt, südchinesisch: Der charmante Hofgarten ist ein idealer Ort, um mit Sorgfalt zubereitete Dim-Sum zu genießen.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Kanton, das ist Hongkong, Guangzhou, das Pearl River Delta und eine der Regionen Chinas, deren Küche innerhalb und außerhalb des riesigen, legendär verfressenen Landes seit je als ganz besonders köstlich und vielfältig gilt. Die Chinatowns von San Francisco und Manhattan, die chinesischstämmigen Communitys in Lateinamerika, aber auch in England oder Südostasien sind bis heute stark von kantonesischer Kultur und Kulinarik geprägt. In Wien aber gibt es, mit Ausnahme des kleinen und ehrwürdigen Hongkong Grill in Gumpendorf, kaum eine Adresse, die sich dieser Küche wirklich verschrieben hätte. Nun hat sich Wien in den vergangenen Jahren aber nahezu zu einer Hauptstadt des chinesischen Essens in Mitteleuropa entwickelt und kann – mit der wesentlichen Ausnahme von Meeresfrüchteküche – auch mit nominell viel besser positionierten Metropolen mithalten. Seit sich hier immer vielfältiger und hochklassiger chinesisch essen lässt, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch diese südliche Spielart bei uns erlebbar wird.

Die Liste der Dim-Sum ist lang, es lohnt, Stichwort Schulanfang, sie ganz ordentlich abzuarbeiten.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Hey Dim Sum macht das ganz und gar nicht schlecht, auch wenn das Restaurant nichts mit den lauten, lebhaften und köstlich chaotischen Speisehäusern der kantonesischen Tradition zu tun hat, wo Wagerln mit dampfenden Bambuskörben zwischen den Tischen herumgeschoben werden und man sich von diesem und jenem geben lässt und irgendwie nie mehr aufhören will zu essen. Es ist auch explizit auf Dim-Sum, die kleinen, kunstvoll gefüllten gedämpften und frittierten Häppchen, spezialisiert. Hauptspeisen gibt es auch, die wandelt der aus Guangzhou gebürtige Küchenchef Zhang Zhifei aber gern fusionfreundlich ab und lässt sie, gourmetmäßig arrangiert, auf extragroßen Tellern auftragen. Da gelingt nicht immer alles so toll, wie es klingt. Wobei, Moment: Der klassisch glasierte und nach kantonesischer Cha-Shao- (auch Cha-Siu-)Art gegrillte Schweinebauch ist eine echte Offenbarung: In dünne Scheiben gesäbelt und zu einem hübschen Hügel aufgeschichtet, entwickelt er so edel fetten, süß würzigen Schmelz, dass man den ganzen Berg am liebsten für sich allein haben will. Ist wahrscheinlich das Geilste an Schweinefleisch, was man in der Stadt zurzeit bekommt, scheibchenweise Glück, totale Pflichtbestellung.

Akute Trenzgefahr

Bei den Dim-Sum sind die knusprigen Hendlrollen so ein Fall: Fast wienerisch mit Bröseln panierte Torpedos, außen knusprig, innen sehr würzig, sehr fragil und bis zum Trenzen saftig gebaut – richtig tolle Krokette. Shao Mai mit XO-Sauce sind außen duftig zarte Teiggebilde, innen deftig mit Schwein gefüllt, fantastisch dicht und vom Umami getrockneter Meeresfrüchte schillernd gewürzt. Ha Gao, mit ganzen Shrimps gefüllt, bekommen leuchtorangen Fischrogen auf den zarten Schleier aus Reisteig gepackt – ganz so saftig und spektakulär, wie sie aussehen, sind sie dann aber nicht. You Tiao, als Brotstangen auf der Karte dramatisch unterverkauft, demonstrieren mit Leichtigkeit und fantastisch luftiger Knusprigkeit, dass sie den Germteig im ganz Fernen Osten mindestens so draufhaben wie unsereins Mehlspeistiger. Die Liste der Dim-Sum ist lang, es lohnt, Stichwort Schulanfang, sie ganz ordentlich abzuarbeiten. (Severin Corti, 9.9.2022)