Siegfried: stimmlich stark, aber in unglücklichem Kostüm.

Foto: Arnold Pöschl

In der an der Baumgrenze abgestürzten Seilbahngondel der Klagenfurter Walküre hat sich Mime mit seiner Schmiede breitgemacht, in der er Siegfried aufpäppelt. Er ist, im zweiten Teil von Aron Stiehls sehr unbekümmerter Neuinszenierung von Richard Wagners Ring des Nibelungen, ein Softie, der dem Ziehkind gleichzeitig Vater und Mutter ersetzen will und aus dessen Rucksack nach zehn Jahren noch immer der Kopf des Teddybären lugt, an dem sich der Kleine einst abspielte.

Jetzt kommt Siegfried allerdings schon im gehäuteten Fell des real erlegten Bären daher, und zwar ziemlich rotzig. Es geht in Walhall und Umgebung überhaupt recht locker zu. Alberich schlägt sich die Handkante in die Armbeuge, um den zum Weltenwanderer gewordenen Wotan despektierlich zu verabschieden. Und die allwissende Erda wirkt so bekifft, dass sie auch der Espresso nicht mehr in Schwung bringt.

Bühne und Kostüme besorgten wieder Okarina Peter und Timo Dentler – es gibt viel zu sehen, noch ganz zu schweigen vom Wüstesten, Fafners weit aufgesperrtem feuerrotem Maul mit den gewaltigen Zähnen, denen sich im zweiten Akt neben Siegfried auch das Publikum momentan ausgesetzt sieht.

Würdevoller Abgang

Als das Spektakuläre dieses Projekts stellt sich immer deutlicher die musikalische Umsetzung heraus. Nicholas Milton gelingt mit fast 50 Mitgliedern des Kärntner Sinfonieorchesters eine unglaublich konzentrierte Umsetzung der Partitur. Da hat, vom Blech bis zur Harfe, von den Bläsern bis zu den Streichern, Herzschlag und Atem. In den komponierten Idyllen vibriert die Natur. Die Vogelstimmen könnten vom Kreuzberg zugeschaltet sein.

Von der Besetzung der Walküre aus der Vorsaison übernommen wurde Markus Marquardt als Wanderer bzw. Wotan, der seinen Abgang als Gott so würdevoll und einsichtig gestaltet, dass neben den Vorwürfen, die man ihm als Göttervater machen kann, die Einsicht bleibt, dass er in mancher Hinsicht gar keine andere Wahl hatte.

Originelle Charakterstudie

Eine höchst originelle Charakterstudie bietet auch Thomas Ebensteins bereits erwähnter Mime. Nachdem die alten Angriffsflächen der Figur, der zwergenhafte Wuchs und die Hässlichkeit, politisch nicht mehr korrekt sind, schafft Ebenstein ein neues Angebot als widersprüchlicher Softie, das die Figur auch ein wenig entlastet. So lacht man unbeschwerter über sie.

Eine stimmliche Entdeckung betrifft die Brünnhilde von Yanhua Liu. Man ist gelegentlich froh, auf die Übertitel schielen zu können, um sich zu vergewissern, dass man die Texte richtig versteht, aber ihre Stimme vermittelt die emotionalen Wertigkeiten so unmittelbar, dass man wortlos glücklich ist.

Tilmann Ungers Siegfried hält stimmlich im Finale mit Yanhua Liu am besten mit, ist nur gestraft durch sein unglückliches Kostüm. Das soll wohl ideologiefrei einen Kärntner Bauernburschen markieren. Aber so lang ist es noch nicht her, dass gerade der Siegfried ideologisch toxisch missbraucht wurde, als dass da, um es vorsichtig zu sagen, in Hinblick auf die Wandervogelbewegung der 1930er-Jahre nicht Vorsicht geboten wäre. (Michael Cerha, 18.9.2022)