Bruderzwist mit aufblitzender Zuneigung: Roman Schmelzer und Günter Franzmeier (re).

APA / Philine Hofmann

Wenn sich im Badewasser eines Kurorts jede Menge Strepto- und Enterokokken herumtreiben, so meint man, die Sache wäre klar und das Bad zu schließen. Aber nein! Bei Gesundheitsfragen haben – wir kennen es seit zweieinhalb Jahren – nicht nur Mediziner mitzureden. So auch in Henrik Ibsens Stück Volksfeind von 1882, das heute die ideale Folie für jenen Kompetenzdisput bietet, der seit Covid Wissenschaft und Politik zusammengespannt hat.

In seiner auf der Bearbeitung Arthur Millers basierenden Josefstädter Neuinszenierung lässt Regisseur David Bösch indes tunlichst die Finger davon, ein Corona-Stück herauszuschälen. Dennoch rückt er einiges zurecht, um den Kurbadstreit in ein heutiges Setting zu verlegen. Eine riesige Thermenlandschaft – die größte Skandinaviens! – soll der Gemeinde den Aufschwung bringen. Zudem ist die Familie des Badearztes Dr. Stockmann (Roman Schmelzer) im Vergleich zum Original deutlich jünger und "mittelschichtiger" angelegt. Sie steht wegen des Hausbaus selbst finanziell unter Druck.

Mmmmammmutprojekt

Und so beginnt der Abend auch bodenständig mit einer schwangeren Kathrin (Martina Ebm als Frau Stockmann) in der mörtelbespritzten Latzhose, die auf der familiären Baustelle sachkundig die Mischmaschine bedient. Im Hintergrund ziehen derweil aggressive Wahlplakate für das Thermenvorhaben und dessen größten Fürsprecher über die Leinwand: Bürgermeister Peter Stockmann, den Bruder des Arztes (Bühne: Patrick Bannwart).

Dieser (Günter Franzmeier) schmeckt an seinem ellenlangen Konferenztisch die "M"s seines "Mmmmammmutprojekts" so genüsslich ab, dass ihm die Zufriedenheit aus allen Poren seines kommunalkapitalistisch frohlockenden Körpers strömt – während er umgekehrt, aber nicht weniger tänzelnd, die "M"s aus einer höchst unliebsamen "Mmmail" angewidert ausspuckt. Dass ausgerechnet sein eigener Bruder das Tourismusprojekt mit unschönen Laborergebnissen desavouieren will, ist ein Konfliktkern des Dramas.

Bösch, versierter Burgtheaterregisseur mit Hang zum Volksstück (Die Präsidentinnen, Stallerhof oder Talisman) und seit zwanzig Jahren eine fixe Größe im deutschsprachigen Sprech- und Musiktheater, inszeniert hiermit erstmals an der Josefstadt. Dem Premierenpublikum hat es gefallen, das Ticket für zwei weitere Ibsen-Arbeiten in der nächsten Spielzeit hatte Bösch allerdings bereits in der Tasche.

Indiana-Jones-Zitate

Seine ambitionslose Inszenierung hält ihre Ideen im Kleinen parat, flicht Indiana-Jones-Weisheiten ein und spricht von "Demokratie in ,normalen‘ Zeiten". Schön anzuschauen ist die in statuarische Eleganz gehüllte Ratlosigkeit alter weißer Männer: des mächtigen, aber nervösen Zeitungsherausgebers Aslaksen (André Pohl) oder des für die Verunreinigung verantwortlichen Fabrikbesitzers (Johannes Seilern). Motto des Abends: Die Rechte sind gewahrt, solange einer wagt, sie anzuzweifeln. (Margarete Affenzeller, 23.9.2022)