Katrija Lehmann (Miss Prism, ganz links) versetzt alle in Schrecken: Fredrik Jan Hoffmann, Maximiliane Haß, Frieder Langenberger, Andri Schenardi und Lisa Birke Balzer (v. li.).

Foto: Lex Karelly

Ehrlich oder ernsthaft zu sein: Das ist in einer Welt der Normen, die geschaffen wurden, um nicht hinterfragt zu werden, am unwichtigsten, im schlimmsten Fall am gefährlichsten. Oscar Wilde hatte ein kurzes Leben lang Zeit, das zu erfahren. Er saß wegen seiner Homosexualität zwei Jahre in Haft und starb danach entkräftet von Zwangsarbeit und verarmt in Paris.

Der Ire blieb der Welt aber wegen seines feinen, beißenden, sprachverliebten Humors in Erinnerung, nicht wegen erfahrenen Unrechts, Demütigungen und Leids.

Versteckspiel

Die Gefahr, in die man sich begibt, wenn man sich nicht ein bisschen oder total verstellt, das Versteckspiel, um Leidenschaften ausleben zu können, das alles findet sich in der erfolgreichsten Komödie Wildes, The Importance of Being Earnest.

Vordergründig, geht es um den Vornamen Earnest, der auch ernsthaft oder aufrichtig bedeuten kann, hinter dem sich zwei Männer verstecken, um Frauen zu gefallen, die nur genau diesen Vornamen attraktiv finden. Vor dem Hintergrund von Oscar Wildes Leben hat die Komödie natürlich wenig mit Ernst und viel mit dem Leben im Korsett der viktorianischen Normen zu tun. Das servierte Wilde dem Publikum kandiert mit unterhaltsamen sprachlichen Schlagabtauschen und bewehrten Momenten der Verwechslungskomödie.

Letzte Saison

Mit Bunbury – Ernst sein ist everything! in der Inszenierung von Claudia Bossard eröffnete Intendantin Iris Laufenberg am Freitag ihre letzte Saison am Grazer Schauspielhaus. Laufenberg übernimmt im Herbst 2023 bekanntlich das Deutsche Theater Berlin.

Bossard stellt die beiden Freunde mit den unsexy klingenden Namen Algernon und John, die alternative Identitäten, Fantasiefreunde (Bunbury) und Brüder (Earnest) erfinden, um sich Freiräume zu schaffen, von Anfang an als Männer auf die Bühne, die sich offensichtlich nicht nur von Frauen sexuell angezogen fühlen.

Mit diesem Eingriff am Stoff schneiderte sie das Stück etwas figurbetonter um. Gleichzeitig bleibt das gesamte Ensemble mit Bossard die ganze Zeit besonders nah an eben diesem Stoff, der aus einer Sprache gewoben ist, die selten blickdicht und fast immer schillernd wie Organza und Seide erahnen lässt, was Wilde in historisch gewordene Bonmots und Pointen verpackte. Dabei sprechen sie immer wieder neben der deutschen Übersetzung, die an Stellen etwas mehr an Loden denn an schmeichelndes Gewebe erinnert, den englischen Originaltext. Als seien die Textpassagen verschiedene Bäume in einem Sprachwald, durch den das Ensemble mit Tempo spaziert, um sich abwechselnd hinter englischen oder deutschen Stämmen zu verstecken oder an ihnen anzulehnen.

Wunderbare Choreographie

Neben dem liebevollen Spiel mit der Sprache wurde mit der wunderbaren Choreographie von Marta Navaridas, eine zweite Erzählebene eingezogen. Sie lässt jede einzelne Geste, jeden Gang über den Laufsteg oder durch den Garten beim "Bunburysieren" zu einem großen rasanten Tanz zusammenwachsen. Da ist etwa das virtuose Buhlen der Freunde, Brüder oder Liebhaber Algernon (Andri Schenardi) und John (Frieder Langenberger) um das Emo-Mündel Cecily (Maximiliane Haß) und die selbstbewusste Tochter aus gutem Haus Gwendolen (Lisa Birke Balzer).

Lassen die Bierdosen zischen: Lisa Birke Balzer (li.) und Maximiliane Haß.
Foto: Lex Karelly

Da ist der Moment, wo ebendiese Jungdamen Cecily und Gwendolen sich breitbeinig in zwei Campingsessel fallen lasse, zischend ihre Bierdosen öffnen und Klartext miteinander reden. Da ist Lady Bracknell (Evamaria Salcher), die sich vor Klassendünkel fast übergeben muss als sie erfährt, dass John ein herrenloses Findelkind ist. Und da ist die blutsaugende Nanny Miss Prism, die wegen eines alten Fehlers ewig büßen muss – und das sehr, sehr lustig.

Ohrfeigen-Reigen

Irgendwann küssen und ohrfeigen sich alle in einem Reigen, in dem der Priester mehr Watschen als Küsse abbekommt. Ihn legt Fredrik Jan Hoffmann als schmierigen Fernsehprediger an. Die weitgehend unmöblierte Bühne mit schwarzweißer Paradiesgartentapete und die in wenig Silber und viel Schwarzweiß gehaltenen ausladenden Kostüme von Elisabeth Weiß schmeicheln dem rasanten Spiel zusätzlich.

Nicht zu vergessen sind die kleinen, aber feinen Auftritte von Alexej Lochmann in Rüschenhose als Merriman, Lane und Butler, der am Ende mit einer großen Stimme überrascht.

Ein verzweifelter John (Frieder Langenberger, li.) wird von Lady Bracknell (Evamaria Salcher) verachtet, Merriman (Alexej Lochman) beobachtet.
Foto: Lex Karelly

Lochmanns Gesang untermalt den finalen langen Kuss von Algernon und John an der Rampe. Ein Kuss, der nichts mit einem Bruderkuss zu tun hat, auch nichts mit einer oberflächlichen Verwechslungskomödie, aber alles mit zwei Menschen, die sich lieben.

Gut möglich, dass das Wilde sehr gefallen hätte. Dem Premierenpublikum gefiel es außerordentlich gut, es wurde viel gelacht und am Ende lange geklatscht. (Colette M. Schmidt, 25.9.2022)