"Hyäne Fischer – Das totale Musical": Erstklassige Performerinnen wechseln zwischen Pamphlet- und Schlagermusikton hin und her.

Elsa Okazaki

Berlin – An das Wort Patriarchat haben wir uns gewöhnt, hallt aber der Viersilber "Matriarchat" über die Bühne, dann läuft einigen im Publikum der kalte Schauer über den Rücken. Und "Hyäne Fischer – Das totale Musical" an der Volksbühne Berlin ist zweifellos angetreten, um für ein solches einzustehen. Zuerst müssen aber noch die Nazis skalpiert werden.

Lydia Haider, Autorin des Librettos, gibt dieser Meuchelfantasie entsprechenden Raum. Wie schon in ihrer Splatterorgie "Am Ball" wird hier in bedächtig gesungenen Strophen Haut kupiert und fein säuberlich "in Speigerl" geschnitten. Der von einem großteils österreichischen Team verantwortete Abend importiert also auch Ösi-Sprech: Großgoschn, Oida, leiwand. Nichts aber, was man nicht auch in Berlin verstehen würde.

"Fascho-Ficker"

Ob aber jeder gleich kapiert hat, was "Zoidog" ist, sei dahingestellt. Um den geht es hier nämlich. Es ist Zahltag bei Hyäne Fischer, der Titelheldin dieses Ermächtigungsmusicals. Soll heißen, es wird mit den Rechtsradikalen und Identitären reine gemacht. "Wir sind die Fascho-Ficker" heißt es später unmissverständlich von Chores Seite.

Hyäne ist ein Popstar, von Hyänen im Wald großgezogen, wo sie das A und O des unterdrückungsfreien Zusammenlebens gelernt hat. Mit ihr, der geheimnisvollen Unsichtbaren, die in mehreren Figuren zu uns spricht, erhebt sich eine Zukunft, von der man noch nichts Genaues weiß, die aber in einer verheißungsvollen psychedelischen Revuekulisse der Künstlerin Marianne Vlaschits vor uns liegt: eine Art zentrales Mandala, hoch aufragende Wellen, eine Vulkanspitze, formalisierte Bäume und ein kleines Wasser – ein Idyll, das kommen wird.

Nicht alles verständlich

In der bombastischen Show, die mit Liveorchester, einem zwölfköpfigen Chor, großer Bühne und Lichteffekten aufwartet, kommt Haiders Text genrebedingt leider ein wenig unter die Räder. Nicht alles Gesungene lässt sich akustisch verstehen. Es ist für den experimentellen Sprachfluss in Jelinek'scher Tradition, der widersprüchlich und amputiert und mit sensationeller Grammatik daherkommt, vielleicht auch gar nicht so wichtig. Gereimtes kämpft sich aber meistens durch: "Noch so ein Witz, Bauchischlitz."

"Hyäne Fischer" ist vieles zusammen: eine vertonte Kampfschrift, ein Horrormärchen, vor allem aber Exerzitien im Revuekleid, die einer zu überwindenden Gegenwart gelten. Ein erhebender Abend fürs Gemüt.

Keine Handlung

Hier wird nichts erzählt oder zur Diskussion gestellt, es bedarf keiner Handlung, keiner Wendungen, "Hyäne Fischer" besteht einzig aus einer Steigerung des Sich-Freischlagens einer Zukunft im kathartischen Sinn. Trotz einer Kürze von achtzig Minuten macht sich bemerkbar, dass dem Singalong die Regie fehlt (Konzept und künstlerische Leitung: Marlene Engel), ein über die Verzahnung der Lieder hinausreichender szenischer Plan.

Regie wird an der Volksbühne seit René Pollesch bekanntlich kleingeschrieben. Die Uraufführung kratzt aber dank ihrer exquisiten Zutaten auch Regie-los die Kurve und erinnert in den besten Momenten an die dysfunktionalen Redeschwallszenen einstiger Pollesch-Arbeiten.

Erstklassige Performerinnen wechseln zwischen Pamphlet- und Schlagermusikton hin und her. Die große Frage war: Wer getraut sich, die bereits im Vorfeld werbewirksam angekündigte Helene-Fischer-Paraphrase zu singen? Und dann taucht Kathrin Angerer im schwarzen Paillettenkleid aus dem Untergrund und stimmt in einem unerschütterlichen Solo "Hodenlos an die Macht" (Original: "Atemlos durch die Nacht") an, ein Understatement wie aus dem Bilderbuch.

Ohrwurm-Qualität

Einige Lieder, die Eva Jantschitsch mit klarem, bewährt entspanntem Sound komponiert hat, haben Ohrwurm-Qualität. Etwa die Reimpaare im Song "Psychokiller": "wir sind der sickerwitz/ der bodypolitics, liefern die pointe/ zu der niemand lacht. […] wir sind das gasolin/ in diesem horrorfilm, und mit nur einem schlag/ treiben wir euch ab". Erstaunlich gut mischen sich hier Schlagermelodie mit hämmernden Synthesizern oder schwere Orgeltöne mit Blechbläserinnenaufwallung ab.

Dass nun die Berliner Volksbühne zum Sammelbecken für eine Generation durchaus streitbarer österreichischer Künstlerinnen wird – neben Haider, Engel, Vlaschitsch und Jantschitsch sind es auch Kurdwin Ayub und Florentina Holzinger –, ist gar nicht so überraschend. Gerade in einer Zeit forcierter Angst ums Publikum gehen viele Bühnen auf Nummer sicher. Und manche preschen nach vor. Die Volksbühne war eben immer schon mutiger und neugieriger als die anderen. (Margarete Affenzeller, 11.11.2022)