Mit Violinistin Isabelle Faust setzte Philippe Herreweghe Dvořáks Violinkonzert um.

Reuters

Wien – Wie wurde eine romantische Symphonie anno dazumal gespielt – zum Beispiel Robert Schumanns 1846 in Leipzig uraufgeführte Zweite? Man weiß es nicht. Es gibt aber kundige Menschen, die im Lauf ihres Lebens reichlich Fachwissen und Detailkenntnisse über einen mutmaßlichen "Originalklang" gesammelt haben: Philippe Herreweghe, zum Beispiel. Der Belgier hat sich, Nikolaus Harnoncourt nicht unähnlich, im steten Streben nach historisch informiertem Musizieren vom Spezialisten für Renaissance- und Barockmusik über die Klassik bis zur Romantik in Richtung Gegenwartsnähe gearbeitet.

Bei ihrer Zusammenarbeit mit Herreweghe mussten die Wiener Symphoniker am Mittwochabend im Musikverein zwar keine Darmsaiten aufziehen, Vibrato wurde aber nur reduziert angewendet. Der 75-Jährige ließ Schumanns Zweite feingliedrig und behutsam erblühen: ohne Tempo-Doping, ohne Potenzmittel in Sachen Dynamik und ohne zusätzliche, künstliche Klangfarbstoffe. Eine bejubelte Interpretation, die den Superlativ verweigerte und alles Überwältigende, Marktschreierische, Grelle und Aufgeplusterte des Saales verwies. Ein Schumann wie damals?

Spezieller Applaus

Die glänzende Motivation, die die Musizierenden bei der C-Dur-Symphonie an den Konzertabend legten, hatte bei der eher tastenden Interpretation von Schumanns Ouvertüre zu Szenen aus Goethes Faust noch gefehlt. Auf einen seifigen Pianoklang der Violinen waren hölzerne Erregungslinien gefolgt; Herreweghes erratische Schlagtechnik war der Gesamtkoordination nicht immer dienlich. Ein Applaus so prickelnd wie abgestandenes Mineralwasser sollte als adäquate Reaktion des Publikums folgen.

Nach der Faust-Ouvertüre trat Faust höchstselbst auf: Isabelle Faust, aktuelle Porträtkünstlerin des Musikvereins und wie Herreweghe in allen Musikepochen kundig unterwegs, gab Dvořáks Violinkonzert mit Verve und Herz, aber auch etwas gleichförmig in der Dynamik und mit mattem Ton in der hohen Lage. Der Höhepunkt: der Finalsatz mit dem lichten, pointierten Elfentanz-Thema. Jubel und eine Zugabe: Passaggio rotto von Nicola Matteis. (Stefan Ender, 12.11.2022)