Ein interessanter Moment: Ninettas Küchenszene (Nino Machaidze) wird per Kamera verdoppelt.

Foto: Monika Rittershaus

Das war an sich eine hübsche filmische Idee: In Rossinis Lagazza ladra lässt Regisseur Tobias Kratzer die diebische Elster gleichsam zur Drohne mit Kamera werden. Während die Ouvertüre beschwingt durchrattert, ist das Publikum also mit den Augen des klugen Vogels dabei, wenn die Elster über Wälder und Wiesen fliegt und bei einem Friedhof kurz haltmacht. Sie stibitzt ein auf dem Grab liegendes Silberkreuz. Der Vogel kennt ja weder Pietät noch Moral.

Geht es dann zurück in den Käfig, heimwärts auf den Bauernhof von Herr und Frau Vingradito (Fabio Capitanucci und Marina de Liso), sieht man durch die Augen des Federviehs, was sich in der Menschenwelt an Zuneigung und Perfidie abspielt. Das ist einige Momente lang ganz nett. Die filmische Verdopplung mancher Bühnensituation verdichtet Details; die Probleme der Inszenierung sind damit allerdings nicht entscheidend aus der Welt zu schaffen.

Widerstand der Musik

Kratzer, der 2019 mit seiner Neuinszenierung von Wagners Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen Erfolge feierte, hat zunächst – wie alle Regie bei Rossini – eine Hürde zu nehmen. Will sich die Inszenierung der sozialen und politischen Probleme annehmen, die hinter dem munteren Stück lauern, "stört" die grandiose Musik.

Die Ideen des italienischen Könners sind eine virtuose, sanguine Melodiemaschine. Sie wirken als Perpetuum mobile der rasenden Linien und Koloraturen, die gerne Heiterkeit versprühen. Nur einen doppelten Boden hat dieses Ideenkarussell mit seinen irrwitzigen Geläufigkeitsansprüchen an die Stimme nicht. Entsprechend gerät Rossini gerne in Widerspruch zu dem, was szenisch versucht wird. Auch Kratzer bekommt es zu spüren.

Tenoraler Glanz

Ein anderes Problem, das sich bald nach Beginn einstellt: Wenn anfangs hungrige Soldaten – es herrschen hier Kriegszeiten – eine Küche plündern und Frauen bedrohen, ist das zwar punktgenau inszeniert. Wenn Giannetto, der Sohn der Familie, den Maxim Mironov mit glanzvoller Tenorstimme ausstattet, von der Front zurückkehrt und als kriegstraumatisierter Paranoiker aggressiv wird, hat das zwar etwas von inhaltlicher Vertiefung. Nur kurz jedoch.

Die Charaktere werden nämlich nicht konsequent mit einer Idee durchgestaltet; mutieren plötzlich zu heiteren Schablonen. Nach und nach verfestigt sich so der Eindruck, hier würde doch eher trivial vor allem auch mit Gruppen, also dem Schönberg Chor, umgegangen werden. Und wenn die übergriffige Amtsperson des Dorfes, Podestà Gottardo (sehr profund Nahuel Di Pierro), mit einem alten Mercedes vorfährt, ist der Gähnreflex nicht mehr zu unterdrücken. Wach halten einen nur noch Assoziationen an eher träges Repertoiretheater.

Zu Unrecht beschuldigt

Dort, wo die Musik, etwa in der Gerichtsszene, ernst und melancholisch wird, ist die Inszenierung einmal aber deckungsgleich mit Rossini. Und da im Fall der zu Unrecht wegen Löffeldiebstahls (es war die Elster) verurteilten Ninetta mit Nino Machaidze eine impulsive Darstellerin zugegen ist, entsteht ein Moment intimer Tragik. Wovon die Musik hier spricht, drückt auch die Szene fabelhaft aus.

Die Rede ist von Ausnahmen: Machaidze, deren Stimme zwar angeraut klingt, verfügt über die Geläufigkeit und Präzision, die Linien exakt zu platzieren und sie in den Dienst der Darstellung zu stellen. Auch Paolo Bordogna, der ihren Vater Fernando gibt, schafft es, den Schönklang seiner Stimme nicht über die darzustellenden Emotionen zu stellen. Selbst wenn er sich einmal in einer Hundehütte verstecken muss.

Also: Eine ohnedies schon sehr lange Oper gerät selten wirklich in Bewegung. Obwohl es die Möglichkeit gab, durch mehrere Räume auf zwei Ebenen, zwischen Küche und Heuschober, mit simultanen Szenen so etwas wie theatrale Polyfonie zu erzeugen und die Schablonen der Musik zu beleben, zieht sich die Inszenierung zurück auf Eindimensionalität und Routine (Bühne Rainer Sellmaier).

Wie ein Hammer

Eindimensional kann man auch gewiss die Folgen des Dirigats von Antonino Fogliani nennen. Das ORF-RSO-Wien präsentiert die Musik munter, manchmal wirken die Akzente wie Hammerschläge. Abseits solch derber Zuspitzungen aber ließ man zwar der Musikmaschine freien Lauf, mehr klangliche Raffinesse und Leichtigkeit hätten jedoch nicht geschadet. Die Musik durch die Ohren der Elster zu hören war leider nicht möglich. Durch die Vogelaugen sah die Inszenierung besser aus, als sie es war. Es gab aber Applaus.

(Ljubiša Tošic, 18.11.2022)