Budgetfinanzierung des ORF ist nun vorstellbar für Eva Blimlinger im STANDARD-Interview – "unter Bedingungen, die die Unabhängigkeit von der Politik sicherstellen".

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Wien – Eine Finanzierung des ORF aus dem Bundeshaushalt ist für die Grünen vorstellbar – unter besonderen Bedingungen, "die die Unabhängigkeit von der Politik sicherstellen": Eva Blimlinger nennt diese Variante im STANDARD-Interview nun als "realistisch". Die Bedingung: Mit einem gesetzlich festgeschriebenen Betrag und einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat müsse diese Finanzierung im Verfassungsrang auch eine automatische Inflationsanpassung vorsehen.

Höchstgericht verlangt Neuregelung

Der Verfassungsgerichtshof hat Ende Juni eine Änderung der GIS-Finanzierung des ORF bis Ende 2023 angeordnet: Eine neue, die Unabhängigkeit des ORF garantierende öffentliche Finanzierung müsse auch die – bisher von der GIS ausgenommene – Streamingnutzung umfassen.

Bundesfinanzierung unter Bedingungen

Die Grünen sprachen sich bisher gegen eine Budgetfinanzierung aus, auch die ORF-Journalistinnen und Journalisten und Kommunikationswissenschafter äußerten Sorgen über höhere Abhängigkeit von der Bundesregierung.

Mit einem "gesetzlich festgeschriebenen Betrag", der automatischen Indexierung und einer Absicherung mit Zweidrittelmehrheit sei die ORF-Finanzierung nicht vom budgetären Gutdünken der jeweiligen Bundesregierung abhängig, argumentiert Blimlinger.

Und wenn eine Regierung eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat hat? "Dann kann sie ohnehin jedes ORF-Gesetz ändern oder abschaffen", hält Blimlinger dagegen. "Wenn eine Regierung den ORF unbedingt schwächen will, dann wird sie das trotz des besten ORF-Gesetzes schaffen. Mit einer Zweidrittelmehrheit ist das schon schwieriger."

Hat Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) sich ihr gegenüber dazu schon geäußert? "Darüber muss man reden", sagt Blimlinger. Konkrete Verhandlungen über das ORF-Gesetz stünden erst an. Bis März wolle man zu Ergebnissen kommen.

Budgetfinanzierung ist in den EU-Staaten inzwischen die häufigste Variante, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren.

Plan B: Haushaltsabgabe

Als zweite Möglichkeit für die ORF-Finanzierung nennt Blimlinger eine Haushaltsabgabe – wie sie Deutschland seit 2013 und inzwischen auch die Schweiz einheben. Alle Haushalte zahlen, mit Befreiungen aus sozialen Gründen wie bisher und einem reduzierten Tarif.

Auch diese Haushaltsabgabe müsste für den ORF wertgesichert werden, sagt Blimlinger. Die GIS-Erhöhungen spätestens alle fünf Jahre deckten die Inflation bisher nicht ab.

GIS für mehr Geräte "keine Option"

"Keine Option" ist für Blimlinger eine Erweiterung der bestehenden GIS um Geräte für Streamingnutzung. Der Gesetzgeber müsste dann womöglich definieren, ob nun ein Tablet oder ein Laptop GIS-pflichtig sind, und für Mobiltelefone ab welcher Bildschirmgröße die Gebühr anfällt. Der GIS-Außendienst – schon jetzt durch seine Tätigkeit eine Belastung für das Bild des ORF – müsste dann womöglich mit Maßbändern ausrücken.

Nicht weniger Geld für ORF

Für 2022 erwartet der ORF rund 660 Millionen Euro aus GIS-Gebühren, das sind rund zwei Drittel der Einnahmen des größten österreichischen Medienkonzerns. Durch eine neue Finanzierungsvariante statt der GIS soll der ORF jedenfalls nicht weniger einnehmen als bisher, sagt Blimlinger: "Sicher nicht." Im Gegenteil: Durch die Teuerung müsste auch das Volumen für den ORF angepasst werden.

In der ÖVP kursierte in den vergangenen Wochen die Denkvariante einer Haushaltsabgabe, aber mit deutlich reduziertem Volumen auch für den ORF – kolportiert wurden 500 statt der aktuell rund 660 Millionen Euro.

Diese Gerüchte dürften auch den ORF-Redaktionsausschuss zu einer Forderung in seiner jüngsten Resolution motiviert haben: "Jede künftige Finanzierungsform muss nachhaltig dafür sorgen, dass der ORF für seinen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag – also Information, Kultur, Sport und Unterhaltung – ausreichend Mittel zur Verfügung hat", hieß es in der Resolution. Und: Die Finanzierung müsse "wertgesichert sein und darf nicht ein verdecktes Abwürgen von Sendern und Programm über den Umweg der hohen Inflation bedeuten." 160 Millionen Euro weniger könnten den Fortbestand des einen oder anderen ORF-Senders infrage stellen.

Bei einer Haushaltsabgabe würde der Aufwand pro Haushalt aber jedenfalls geringer als bisher bei der GIS, sagt die grüne Mediensprecherin, denn: Die bisher von sieben Bundesländern (außer Oberösterreich und Vorarlberg) eingehobenen Landesabgaben auf die GIS müssten dann anders geregelt werden. Blimlinger verweist auf den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern oder eine Vereinbarung darüber zwischen Bund und Ländern nach Paragraf 15a der Bundesverfassung.

Chance für Gremienreform, aber "kein Signal aus ÖVP"

"Kein Signal der ÖVP" hat Blimlinger für eine Reform der ORF-Gremien Stiftungsrat und Publikumsrat sowie der Geschäftsführung. Dabei böten die in den vergangenen Tagen bekanntgewordenen Chats zwischen damaligen FPÖ-Regierungspolitikern und Stiftungsräten den Anlass für eine "Chance auf Reform, ein Zeitfenster. Wir werden das sicher in die Diskussion einbringen. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben."

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat eine Gremienreform gerade im "Report" neuerlich abgelehnt, sie stehe nicht im Regierungsprogramm. Die ÖVP hat mit dem langjährigen Beschickungsmodus von Regierung, Parteien, Ländern, ORF-Publikumsrat und Betriebsrat im entscheidenden Stiftungsrat eine alleinige Mehrheit.

Die Chats der Freiheitlichen aus 2018/19 als Regierungspartei etwa zwischen dem damaliagen Vizekanzler FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dem damaligen Stiftungsratschef Norbert Steger (FPÖ) machten deutlich, wie die Politik versuche, im ORF Einfluss zu nehmen. "Es ist nicht so, dass es früher anders war", sagt Blimlinger. "Es wäre naiv anzunehmen, dass in den letzten 30 Jahren jemand ORF-General wurde ohne Einfluss der Politik." Aber die Deutlichkeit der freiheitlichen Chats habe doch überrascht in ihrer Brutalität und zugleich Banalität, mit der sich die Freiheitlichen da "auf Klassensprecherniveau über dieses wichtige und große Unternehmen unterhalten" hätten, sagt die Grüne.

Aufsichtsrat von fünf bis sieben Mitgliedern statt Stiftungsrat

Blimlinger plädiert für einen Aufsichtsrat mit fünf bis sieben – nicht nur ehrenamtlichen – Mitgliedern plus Betriebsratsvertretern. Auf die Besetzung könnten sich etwa Regierung, Parlament und eine Reihe von Organisationen wie Kammern und NGOs verständigen. Mit Ausschreibungen nach definierten Anforderungsprofilen, Bewerbungen und öffentliche Hearings für Bewerberinnen und Bewerber.

Ein Vorstand mit jedenfalls gleichberechtigtem Vier-Augen-Prinzip sollte das Milliardenunternehmen führen statt des bisherigen Alleingeschäftsführers, sagt Blimlinger.

Im Publikumsrat sollten nicht nur – teils nicht mehr zeitgemäße – Interessenorganisationen Vertreter vorschlagen, die die Medienministerin mehrheitlich auswählt, sondern auch Menschen aus der Bevölkerung. Blimlinger erinnert etwa an den Klimarat.

"Blaue Seite bleibt"

Die ORF-Novelle soll dem ORF laut Blimlinger jedenfalls auch Möglichkeiten geben, Formate eigens oder zuerst für Online zu produzieren; die Sieben-Tage-Beschränkung für Abruf soll fallen. Der ORF fordert auch mehr Möglichkeiten auf Social-Media-Plattformen.

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat im September angekündigt, die Zahl der täglichen Beiträge auf ORF.at zu halbieren, um die stockenden Verhandlungen mit privaten Medienhäusern über eine Digitalnovelle wieder in Gang zu bringen.

Blimlinger schüttelt den Kopf über das "Gefeilsche" über Meldungslängen und Meldungszahl auf ORF.at. "Wenn um 22.30 der Papst stirbt", kann ORF.at nicht berichten, weil es an dem Tag schon 60 Meldungen online gestellt hat, fragt sie." Die blaue Seite bleibt", sagt sie trocken. Aber: Man könne schon diskutieren, ob sie auch in Zukunft lange feuilletonistische Artikel bieten müsse, "wie sie das Gesetz aktuell schon nicht vorsieht – auch wenn ich sie gerne lese". (fid, 18.11.2022)