Marina Davydova kennt das deutschsprachige Theater gut und hat durch ihre langjährige Festivalerfahrung in Moskau, aber auch in Wien, europaweit erstklassige Kontakte.

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Die Salzburger Festspiele haben mit Marina Davydova ab 2024 eine neue Schauspieldirektorin. Der Vertrag der 1966 in Baku geborenen Theaterexpertin läuft ab 1. Oktober 2023 und ist auf drei Jahre bis Ende September 2026 abgeschlossen.

Die in Moskau ausgebildete Theatermacherin, Journalistin und Dramatikerin gilt in den von bisweilen überschießenden Reaktionen getragenen Debatten um russische Kunstschaffende als Integrationsfigur. Schon 2016, als sie das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen kuratierte und damals erstmals mit Markus Hinterhäuser, dem heutigen Festspielintendanten, zusammengearbeitet hat, zeigte sie sich als jemand, die nicht in nationalen Grenzen denken möchte. Und sie ging damals schon mutig auf Distanz zum imperialistischen Kurs Putins.

Flucht aus Russland

Das und viele andere Statements machten sie für die russische Politik allmählich zum "roten Tuch", wie sie mehrfach sagte. Nach der russischen Invasion in die Ukraine im vergangenen Februar verfasste Davydova auch umgehend eine Petition gegen den Krieg. Massive Drohungen zwangen sie dazu, das Land zu verlassen. Sie lebt seither in Berlin.

Davydova widerstrebt es, Kulturen gegeneinander auszuspielen, Theater repräsentiere eine kosmopolitische Welt, das wolle sie in ihrem Programm auch abbilden, wie sie in einem ersten Interview mit der Austria Presse Agentur sagte. Angesprochen auf die im vergangenen Sommer viel diskutierten Verbindungen der Salzburger Festspiele zu russischen Sponsoren, schließt sie aus, dass unter ihrer Leitung politisch gesteuerte Kunst aus Russland gepusht werden könnte. Sie schätze indes Teodor Currentzis.

Davydova differenziert und merkt an, dass "bedeutsame und zeitgenössische Dinge in Russland auch deshalb entstanden sind, weil sie von russischen Konzernen gefördert wurden." Nicht unbedingt vom regimetreuen Sponsor Gazprom. Aber sie führt den Milliardär Roman Abramowitsch an, der verfolgten Künstlern wiederholt im Geheimen geholfen haben soll und ersucht hat, namentlich nicht genannt zu werden.

Krystian Lupa

Besonders ihre Expertise im Bereich des europäischen Theaters prädestiniert Davydova für den Salzburger Posten. 23 Jahre lang hat sie in Moskau das Festival für "Neues europäisches Theater" (NEF) geleitet und damit den Boden für aufstrebende Theatertalente bereitet. Eine ideale Voraussetzung für das Salzburger Programm, das, so Hinterhäuser in der aktuellen Presseaussendung, "mit einer verstärkt internationalen Ausrichtung dem hohen Besucheranteil aus 76 Ländern Rechnung tragen soll". Der Schwerpunkt liege indes weiter auf deutschsprachigem Repertoire.

Mit welchen Theaterkünstlern und -künstlerinnen ist in den Saisonen ab 2024 also zu rechnen? Ein Name fiel bereits: Krystian Lupa, der polnische Regiemeister. Davydova steht für ein aufgeschlossenes und mutiges zeitgenössisches Theater. In ihrem Wiener-Festwochen-Jahr präsentierte sie beispielsweise die gigantische Theaterlandschaft Wir Hunde der Performancegruppe Signa oder eine radikale, weil textlose bzw. stumme Inszenierung Drei Schwestern von Timofej Kuljabin.

Festwochen-Koproduktion

Gegenwärtig arbeitet Davydova an einem Stück namens Land of No Return/Land ohne Wiederkehr für das Residenztheater in München und an einem Projekt mit dem Titel The Museum of Uncounted Voices/Das Museum der ungezählten Stimmen, einer Koproduktion zwischen Wiener Festwochen und HAU-Theater in Berlin.

Bettina Hering, die in wenigen Tagen das neue Jedermann-Schauspielpärchen für den kommenden und damit ihren letzten Festspielsommer präsentieren wird, hatte sich nicht um weitere Amtszeit beworben und steht seither als mögliche Kandidatin für das Burgtheater im Raum. (Margarete Affenzeller,24.11.2022)