Reifeprüfung am dreckigen Häusl: Nicht allen Besuchern der Kammeroper war Martín y Solers "L’arbore di Diana" ein Lust-Spiel.

Foto: Herwig Prammer

Spätestens seit Therese Giehses Darstellung der steifen und sittenstrengen Oberin im Film Mädchen in Uniform weiß man: Schuldirektorinnen haben es auch nicht leicht. Giehses pädagogisches Credo "Wie die Zucht, so die Frucht" war die volle Härte, doch die ihr anvertrauten Früchtchen wollten sich nicht länger züchtigen lassen, sondern lechzten nach der freien Liebe.

In der Kammeroper setzt eine gottgleiche Schuldirektorin in der Oper L’arbore di Diana ebenfalls auf Strenge und katholizismusaffine Lustfeindlichkeit. Doch auf dem abgefuckten Abort ihres Bildungsinstituts geht es ziemlich dreckig zu. Der Reifeprüfung zustrebende Schüler führen Dianas dreifaltigen Putztrupp und letztlich die Chefin selbst in Versuchung, unter Anleitung eines angstbefreiten, genderfluiden Zöglings mit Namen Amore. Wird die frigide Domina diesem Sturm der Liebe trotzen können?

Ja: Vicente Martín y Solers Erfolgsoper ist von Regisseur Rafael R. Villalobos von einem mythologischen Garten in einen nach Urin und Scheiße stinkenden Sanitärbereich einer höheren Schule transferiert worden (Bühne: Emanuele Sinisi). Da wird zwischen verdreckten Fliesen gegrapscht, geknutscht, onaniert und dem anderen mit kundiger Handarbeit Befriedigung verschafft, dass es vielen eine Freude ist – anderen nicht. In einen Bravochor der Begeisterung mischten sich beim Schlussapplaus kräftige Buhs für die Regie.

Inspirationsbeschleunigung

Aber warum? Lorenzo Da Ponte, der produktive Poet, schuf sein nach eigenen Angaben "wollüstiges" Textbuch unter Zuhilfenahme mehrerer Flaschen Tokajer sowie der sechzehnjährigen Tochter der Hausbesorgerin als Inspirationsbeschleunigung – und parallel dazu das Libretto über den weltbekannten Erotomanen Don Giovanni. Da kann es schon mal zur Sache gehen.

Was dem Opernpersonal sichtlich Spaß gemacht hat: so etwa Jarilyn Chou, Arielle Jeon und Bernarda Klinar als Putznymphen Britomarte, Clizia und Cloe. Das gesangliche Niveau der Studentinnen der Musikuniversitäten von Graz und Wien war herausragend – wie auch das der jungen Tenöre Jan Petryka (als Endimione) und dem William-Shatner-Lookalike Gyula Rab (als Silvio); Christoph Filler gefiel als Doristo mit einem saftigen Bariton. Großer Ohrenschmaus!

Maayan Licht verführte als Amore mit einem zarten wie durchsetzungsfähigen Countertenor, und Verónica Cangemi lotete mit ihrem Sopran alle Facetten Dianas aus. Mit Wärme, Sinnlichkeit und Zartheit verführte das Bach Consort Wien unter der kundigen Leitung von Ruben Dubrovsky; Gianni Fabbrini schlug am Hammerklavier bei den Rezitativen kreative Volten. Die Götter müssen verzückt sein. Stefan Ender, 4.12.2022)