"Pinocchio" der Gruppe Moved by the Motion will auch Kinder zu den Festwochen locken.

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2019 sprang Christophe Slagmuylder interimistisch bei den Festwochen ein, 2023 verlässt er Wien vorzeitig wieder.

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Er fühle sich nicht vom Publikum missverstanden, sagt Christophe Slagmuylder, der Noch-Intendant der Wiener Festwochen. Wiewohl: Es hätte besser für ihn laufen können. Die Bilanz war zuletzt nicht berauschend. Lediglich 29.000 verkaufte Tickets (15.000 zum Vollpreis) zählte man beim mit rund zehn Millionen Euro von der Stadt subventionierten Festival heuer. Wohl auch deshalb kehren die Festwochen zu einer zuletzt nicht gepflegten Tradition zurück und stellen fünf Filetstücke des kommenden Programms bereits dieser Tage vor. Es ist das letzte von Slagmuylder, der auf eigenen Wunsch nach Brüssel heimkehrt. Der Kartenverkauf startet heute.

Man habe bisher das Problem gehabt, eine Fülle von Projekten in kurzer Zeit präsentieren zu müssen, so sei nicht alles beim Publikum angekommen, heißt es seitens der Festwochen. Natürlich will das Festival mit der vorgezogenen Präsentation auch am Markt für Weihnachtsgeschenke mitschneiden. Man war heuer zudem früher mit der Programmplanung fertig als zuletzt, sagt der Intendant.

Sprech- und Burgtheater

In dieser finden sich wieder mehr Sprechtheater (Simon McBurney adaptiert Olga Tokarczuks Gesang der Fledermäuse). Mit Pinocchio (Wu Tsang) will man auch jüngeres Publikum erreichen, eine Mischung aus Musik und bildender Kunst wird die Eigenproduktion Song of the Shank mit Videokünstler Stan Douglas. Slagmuylder hofft somit auf ein abschließendes gutes Publikumsurteil. Es gibt auch wieder Produktionen mit Burgtheater, Theater an der Wien und der Volksoper.

Das klingt geradezu, als hätte Slagmuylder sich die Kritik, sein Programm sei zu kleinteilig, zu Herzen genommen? "Ich hatte fünf Monate für meine erste Ausgabe. Ich kannte die Wiener noch nicht gut. Dann kam Covid", sagt er. "Große Projekte sind sehr wichtig. Es war in den Corona-Jahren aber nicht leicht, sie zu produzieren", sagt er. Er sagt aber auch: "Wir lernen."

Hätte er ohne Corona mehr geklotzt? Die Antwort auf die Frage, was heute eine Arbeit relevant für die große Bühne mache, sei nicht mehr so selbstverständlich, kontert er. Müsse man sehr bekannte Namen zudem noch in Wien zeigen? "Auch kleine Arbeiten wie etwa Close Encounters zählen aus meiner Sicht zu den spannendsten Dingen, die uns in der jüngeren Vergangenheit gelungen sind. Im Endeffekt geht es immer um Ausgewogenheit."

Neugier und Sicherheit

Das Wiener Publikum hält er zwar für ein "neugieriges", aber auch für eines, das "Sicherheit haben muss" – mehr als jenes in Brüssel. Die Erinnerung verkläre aber wohl, dass die Festwochen immer auch experimentell gewesen seien. Die Welt verändere sich, man müsse herausfinden: Was sind die Festwochen? Was ist Wien?

Aus der Kritik an seinem Programm zieht Slagmuylder daher nicht den Schluss, dass die Richtung verkehrt gewesen sei. "Es ist nämlich auch die Richtung der Welt!" In der Mythologie gebe es Götter, die zerstören, und solche, die neu aufbauen. Hier siedelt er sich und Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin an. "Ich denke, dass er und ich einen Weg der Veränderung eingeschlagen haben, der teilweise auch notwendig war. Ich habe es zumindest versucht, bin mit Projekten gekommen, an die ich glaube."

Zu wenig Zeit

Dafür habe er "auch viel Unterstützung von Kollegen und Publikum erfahren." Die habe es neben einer "gewissen Negativität, die die Dinge schwer und kompliziert gemacht hat", nämlich auch gegeben. Wie er also nach vier Ausgaben zu seinen Kritikern steht? "Man kann nicht nur sagen, ihr versteht mich nicht, ich bin besser, als ihr glaubt. Andererseits muss man aber auch zielstrebig sein. Ich wollte wirklich in Wien bleiben, weil ich glaube, wir hätten einander besser gefunden, hätten wir einander besser kennengelernt."

Seine Nachfolge soll im Februar feststehen. Wien brauche jedenfalls einen "Risikofaktor". Was er hinterlasse? "Ich habe wirklich an der Struktur gearbeitet. Manche Kritiker haben gesagt, ich sei ein Kontrollfreak oder es sei schwierig, mit mir zu arbeiten, das macht mich traurig. Wir haben viel daran gearbeitet, einander besser zu verstehen. Es ist wirklich gerade ein Generationenwechsel im Gange. Was ich hinterlasse, ist eine interne Umstrukturierung: weniger Hierarchie, mehr Professionalität, mehr Teamgeist, mehr Transparenz." Das werde erst noch voll Früchte tragen. "Meine Zeit war zu kurz." (Michael Wurmitzer, 7.12.2022)