Immer auf der Lauer und nicht leicht auszutricksen: Nicholas Ofczarek als raubeiniger Räuber Hotzenplotz.

Foto: Studiocanal

Welcher Räuber stiehlt Kaffeemühlen von Großmüttern (diesmal: Hedi Kriegeskotte) und wünscht ihnen anschließend noch einen guten Tag? Der Hotzenplotz natürlich, der liebenswerte Wüstling aus Otfried Preußlers Kinderbuch von 1962. Nun wurde es unter der Regie von Michael Krummenacher bereits zum dritten Mal verfilmt, in einem sanft nostalgischen Stil, eng am märchenhaft-grotesken Tonfall der Vorlage, nur dezent mit digitalem Zauberwerk versehen.

Die Besetzung des Titelparts mit dem vielbeschäftigten Wiener Theater- und Filmschauspieler Nicholas Ofczarek trifft ins Schwarze: Die Freude an der Gier und triebgesteuerten Körperlichkeit seiner Figur merkt man ihm in jedem seiner Manöver an. Im Interview erzählt der Burgschauspieler mehr über seine jüngste Begeisterung für filmische Parts.

KinoCheck Familie

STANDARD: Räuber umweht in der Kulturgeschichte gern der Hauch anarchistischer Romantik. Passt da der Hotzenplotz ins Bild?

Ofczarek: Total, er ist eine anarchische Figur außerhalb der Gesellschaft. Er weiß nicht, wie sozialer Umgang funktioniert. Als er dann mit seinen Geiseln eine Art Familie formt, scheitert er und wird obendrein betrogen. Er hat auch ein großes Herz, das er von Berufs wegen nicht nutzen kann.

STANDARD: Einmal sagt er: "Ich bin kein schlechter Mensch, ich bin ein Räuber." Macht ihn diese Ambivalenz schon zur Sympathiefigur?

Ofczarek: Für die Zuseher ist es vor allem wichtig, dass er sich verändern kann. Er lässt in sich hineinschauen: Der Hotzenplotz ist kein Stereotyp, sondern er durchläuft eine Entwicklung, und das schafft Bindung. Sein Gegenspieler, der Zauberer Zwackelmann (gespielt von August Diehl, Anm.), hasst sich ja selbst, was mich sehr amüsiert. Da muss der Hotzenplotz anders sein, mehr eine Figur, die sich entblättert.

STANDARD: Wie geht man an eine solche Figur heran? Sie haben, ähnlich wie Tilda Swinton, oft große Lust an Verkleidungen gezeigt. Sind Äußerlichkeiten – der Hut, der Bart, die dreckigen Füße – wichtig?

Ofczarek: Bitte, das sind nicht meine Füße, sondern Riesenfüße aus Silikon! Größe 53. Aber ich habe mich tatsächlich gefragt, bis zu welchem Grad man in die Überhöhung gehen kann, ohne dass es albern wird. Man könnte das ja auch ganz naturalistisch spielen.

STANDARD: Wäre aber weniger komisch.

Ofczarek: Wahrscheinlich. Es war auch ein Risiko. Wie hat Max Reinhardt gesagt: Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung. Ich mag Enthüllung durch Verstellung. Wenn man in eine andere Energie schlüpft, wird es interessant.

STANDARD: Mit August Diehl haben Sie unter der Regie von Andrea Breth auf der Bühne gespielt. Wie war das, sich nun in diesen recht grellen Parts wiederzubegegnen?

Ofczarek: Wir sind befreundet, aber das ist ja auch nicht immer das Einfachste. Wenn etwas so locker-flockig herüberkommt, steckt meist viel Arbeit dahinter. Es braucht großes Vertrauen ineinander.

STANDARD: Jazzt man sich gegenseitig hoch?

Ofczarek: Es ist ein Mittelweg, der einem die Leichtigkeit bewahren hilft. Der Jazz hat auch seine Regeln, die man dann verlassen kann …

STANDARD: … und Soli gewährt.

Ofczarek: Das verlangt große Aufmerksamkeit für den Partner. Man kommt weg von sich, das ist fürs Spiel immer gut. Wenn die Konzentration auf dem Partner liegt, entspanne ich. Wenn ich mich entspanne, entspannt sich der Zuschauer.

STANDARD: Es ist ja nicht ausgemacht, dass man zwei der prominentesten deutschsprachigen Darsteller für einen "Kinderfilm" bekommt. Haben Sie gezögert?

Ofczarek: Ich habe das Drehbuch gelesen, das ausgezeichnet war. Es ist doch herrlich, dass gerade wir so etwas spielen! Das Buch hat viel mit dem Original zu tun. Es wurde nicht blöd aktualisiert, wir leben ja in einer eher flachen Zeit.

STANDARD: Zeitgenössische Lesarten stören Sie also?

Ofczarek: Man fragt immer, warum hat dieser Stoff heute noch Bestand, als ob wir in einer erstrebenswerten, voranschreitenden Zeit leben würden! Das tun wir gerade nicht. Wir sind doch eher rückschrittlich. Und das ist ein Film, der nicht so schnell ist wie die heutige Zeit, die uns doch alle überfordert. Wie überfordernd muss sie dann für die Kinder sein? Wenn man ihnen die Möglichkeit zur Imagination und Projektion anbieten kann, umso besser.

STANDARD: Sie interessieren sich aber auch für heutige Figuren: Sie waren der Detektiv Hessenthaler in der "Ibiza Affäre", Thomas Schmid fänden Sie als Figur auch interessant, haben Sie einmal gesagt.

Ofczarek: Ja, und da war er noch gar nicht so bekannt. Mich interessiert immer die persönliche Befindlichkeit, die hinter den Handlungen steckt. Das ist letztlich die Essenz: Was ist das für eine Biografie mit all ihren Widersprüchlichkeiten? Man muss immer mit dem arbeiten, was zur Verfügung steht. Die Leichen, die im Keller liegen, sind natürlich das Interessante. Wie bei uns allen.

STANDARD: Sie hatten unlängst zwar mit den "Dämonen" eine Premiere an der Burg. Aber vom Theater haben Sie sich ein wenig distanziert, warum?

Ofczarek: Ich hab das fast 30 Jahre gemacht. Jetzt liegt mein Schwerpunkt auf Film, weil es da für mich viel zu entdecken gibt. Das Theater hat sich in eine Richtung bewegt, die mich nicht mehr so fesselt. Mir geht’s um Qualität, um Unterschiedlichkeit, außerdem interessiert mich der soziale Faktor, was viel mit dem Umgang im Team zu tun hat. Ein Dreh ist ein künstlich hierarchisches Konstrukt, das geht nur mit viel wechselseitigem Respekt.

STANDARD: Und Sensibilität.

Ofczarek: Ja, weil dann Freiheit und Kreativität entstehen kann. Mich interessiert, wie über Achtsamkeit etwas Erfolgreiches entsteht.

STANDARD: Was sagen Sie zu den Vorwürfen gegen den Führungsstil von Martin Kušej, dem angeblichen Klima der Angst an der Burg?

Ofczarek: Ich habe davon nichts wahrgenommen. Ganz ehrlich.

STANDARD: Wie stehen Sie zum Brief, in dem er beim Ensemble um Solidarität bittet?

Ofczarek: Ich will dazu nichts sagen. Ich finde diese öffentlichen Diskussionen entbehrlich.

STANDARD: Im Filmbereich versucht man mit einem "Code of conduct" Verbesserungen. Sinnvoll?

Ofczarek: Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Für andere offenbar nicht, aber ich frage mich, ob man mit solchen Codes diese Leute erreicht. Jetzt gibt es sogar schon "Intimacy Coaches", absurd …

STANDARD: Sie meinen, man sollte das alles ohnehin wissen?

Ofczarek: Natürlich, das ist ein Beruf. Intimität im Film ist eine sehr technische Angelegenheit. Dass es da Missbrauch gibt, kann ich mir schwer vorstellen. Ob man Missbrauch hinter der Kamera damit verhindern kann, ist eher fraglich. Aber alles wäre diskussionswürdig, wenn man tatsächlich darüber diskutieren würde. Ich vermisse eine echte Auseinandersetzung, ohne dass gleich in Lager eingeteilt wird. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 7.12.2022)