Gern als absurd verlachte Oper: Verdis Werk wurde von Regiealtmeister Peter Konwitschny ordentlich umgekrempelt und fokussiert sich auf das tragische Dreieck von Alvaro, Leonora und Carlo.

Foto: Reinhard Winkler

In den dunklen Zeiten vor dem segensreichen Wirken der Aufklärung begriff man Schicksal meist als Manifestation des Gotteswillens, in säkularisierten Gesellschaften als eine höhere Macht, deren Launen der gemeine Mensch schutzlos ausgeliefert war. Doch steht die Macht des Schicksals auch in Zusammenhang mit der Macht der Vorurteile, die von Großeltern und Eltern auf ihre Nachkommen übertragen werden. Unhinterfragt übernommen, können sie Übles anrichten.

Nehmen wir Marchese von Calatrava aus Verdis La forza del destino als Beispiel. Der hätte sich ja auch anders verhalten können, als er von der Liebe seiner Tochter Leonora zum dunkelhäutigen Don Alvaro erfahren hat. (Wie man in Steven Spielbergs Minority Report lernt, kann der Mensch bis zum letzten Moment noch anders agieren.) Der Marchese hätte seinen Verstand benützen, Vorurteile ablegen und dem jungen Mann mit Migrationshintergrund eine Chance geben können. Aber der Adel war nicht nur Mitte des 18. Jahrhunderts hauptsächlich damit beschäftigt, Standesdünkel und Exklusivitätsphantasmen zu pflegen. Selber schuld: Beim vereitelten Fluchtversuch des Liebespaars fällt versehentlich ein Schuss aus Alvaros Pistole, der den Marchese tödlich verwundet. Und eine Racheorgie nimmt ihren Lauf.

Alle Welt ist ein Gefängnis

Das Landestheater Linz hat Peter Konwitschny damit beauftragt, den Handlungsgang von Verdis gern als absurd verlachter Oper in Szene zu setzen. Der deutsche Altmeister zeigte sich erfreut und hat das Werk gleich ordentlich umgekrempelt: Unter anderem wurden die großen Volksszenen gestrichen und auf das zweite Duett von Alvaro und Leonoras Bruder Don Carlo verzichtet. Der Vierakter wurde so zu einem pausenlosen Kammerspiel von 100 Minuten verdichtet, das sich ohne die bunten Sättigungsbeilagen der Massenszenen in diätischer Beschränkung auf das tragische Dreieck Alvaro, Leonora und Carlo fokussiert.

Drei Chöre hat der 78-Jährige allerdings wieder in den Ablauf eingefügt, die vom Irrsinn der Welt und von Kriegsbegeisterung erzählen; sie bestehen aus furienartigen Wesen mit Sakko und Rock (Kostüme: Anna Beck, Karin Waltenberger). Als Umfeld, in dem die Protagonisten mit Rache, Hass und Verzweiflung konfrontiert werden, hat Konwitschny einen vierteiligen Bunker ersonnen: Wohin man auch flüchtet, alle Welt ist ein Gefängnis.

Immerhin weiß der weißhaarige Regiegott final auch Trost zu spenden: Bei der angehängten Ensemblenummer mit Chor aus dem zweiten Akt ("Padre Eterno") werden versöhnliche Töne angeschlagen. Schade nur, dass zuvor der erste Akt in Richtung Trash-Klamauk kippte.

Sopran, fest wie ein Schiffstau

Mit den Ensemblemitgliedern Adam Kim und Erica Eloff geben zwei sendungsbewusste Künstler das verhinderte Liebespaar: Kim beeindruckt als Alvaro mit seinem leistungsstarken Tenor, beweist (in seiner Beinahe-Sterbeszene) aber auch einen virtuosen Umgang mit der voix mixte. Als Leonora fesselt Eloff mit einem Sopran, fest wie ein Schiffstau und hell wie ein Scheinwerfer; schrille Spitzentöne weiß sie aber zu vermeiden. Sung-Kyu Park drückt als Carlo sein der Rache gewidmetes Innenleben mit einem noblen, in der Mittellage limitierten Bariton aus. Die Ensemblekräfte Michael Wagner und Dominik Nekel geben den Marchese und den Pater Guardiano. Energisch Vaida Raginskytė als Zofe Curra.

Den Orchestergraben hat der mit Verve und Eleganz agierende Enrico Calesso relativ weit nach oben fahren lassen. So hört man die Poesie und die Empfindsamkeit, mit der das Bruckner Orchester Linz die wundervollen Melodien Verdis musiziert, auf direktem Wege. Jubel und Freude über all das in Linz.

Übrigens: Laut Peter Sloterdijk hat das Schicksal langfristig eh ausgedient. Der Philosoph stellt bei der Weltgesellschaft aufgrund ihrer zunehmenden Verdichtung eine steigende autodidaktische Spannung fest. Seine Prophezeiung: "Wo Fatum war, wird Feedback werden." Sein Wort in Gottes Ohr. (Stefan Ender, 23.1.2023)