Sopranistin Ava Dodd (li.) betört zwischen Scham und Verlangen, das Ballettpaar Julia Hübner und Jonathan Metu verdient in eines Elfenreigens würdigen Kostümen Aufmerksamkeit.

Helge Bauer

Am Klagenfurter Stadttheater wird der Frühlingsanfang mit einem hemmungslosen Klangrausch gefeiert. Alles, was schön und laut ist, wird zur Aufführung von Igor Strawinskys Feuervogel-Suite und Carl Orffs Carmina Burana aufgeboten. Das beginnt bei den peitschenden Einsätzen des von Nicholas Milton aufgestachelten Kärntner Sinfonieorchesters. Es erhitzt sich neu und neu an den Pulsen des von Günter Wallner durch den Abend gejagten, extragroßen Hauschores.

Und es verschenkt sich verschwenderisch in der ausgelassenen Körpersprache eines von Sabine Arthold durch die Ekstasen von Lust und Liebe begleiteten Tanzensembles. Dieses, gebildet aus Studentinnen und Studenten der renommierten Wiener Performing Academy, wurde von Bettina Breitenecker wie für den ausgelassensten Elfenreigen ausgestattet. Solistisch ziehen ihrerseits Julia Hübner und Jonathan Metu die Blicke auf sich.

Die nun in Klagenfurt zu sehende Kombination aus Feuervogel und Carmina Burana ("Burana" steht für "aus Beuern") ist originell. Im expressiven Pathos, mit dem die Komponisten Strawinsky und Orff in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gleichermaßen zu Werk gegangen sind, sind sie aber nicht so weit voneinander entfernt.

Hinzu kommt erstens, dass die der Suite von 1917 zugrundeliegende Langform des Feuervogels als "Ballett" von 1911 angelegt war – wenn auch als ein ganz der Moderne zugewandtes. Und hinzu kommt zweitens, dass Orff zu seinen Carmina Burana zwar keine choreografischen Vorgaben geschaffen hat, aber davon ausging, dass ihre Realisierung eine Bewegungsebene einschließt.

Liebe und Verlangen

Auf sängerischer Ebene überzeugen der großartige Bariton Marian Pop in der ständig geforderten Attacke sowie die von Orff eher mit lyrischen Momenten betraute Sopranistin Ava Dodd. Der mitreißende Bariton, in seinen Texten männlich die Liebe einfordernd, und die zwischen Scham und Verlangen betörend schwankende Sopranistin wurden bei der Premiere zu Recht stürmisch gefeiert. Wobei: Weder bei Strawinsky noch gar bei Orff ist aber das Geschehen so ungetrübt.

Denn bei Ersterem muss der Feuervogel eingreifen, um das Mordkommando des Höllenfürsten zur Strecke zu bringen. Beim Zweiten bildet das Rad des Schicksals sowohl das warnende Vorzeichen als auch das abschließende, bedrohliche Rufzeichen. Die bleckenden Zähne, die der von Jihoon Son mitleidvoll interpretierte gebratene Schwan um sich versammelt sieht, gehören vordergründig einer Festtagsgesellschaft – in Wahrheit aber schon dem Gericht, dem die lüsterne Menschheit nicht entgehen wird. Soweit sind die 1934 von Orff in der Bibliothek des Klosters Benediktbeuern entdeckten und vertonten spätmittelalterlichen "Gesänge" doch nicht nur "weltlich".

Die einstige Bewegungskomponente der Carmina Burana war zuletzt etwas überlagert von einer Tradition konzertanter Interpretationen. Nicht nur die hohe Gesamtqualität des Abends, sondern auch dieser Umstand machen diese Produktion beachtenswert. (Michael Cerha, 25.3.2023)