Eine Jubiläums-Postkarten-Kollage von Roswitha Klaushofer.

GAV/Roswitha Klaushofer

Vorweg, für alle, die nicht wissen, was die GAV eigentlich ist: Es handelt sich dabei um die Grazer Autorinnen Autorenversammlung, gegründet 1973 in Graz (deswegen der Name). Allerdings ist der Name mitunter verwirrend, denn der Vereinssitz der Grazer Autorinnen Autorenversammlung ist schon im Jahr 1975 nach Wien übersiedelt.

Nun, heuer feiert die GAV ihr fünfzigjähriges Jubiläum. Ich war nicht von Anfang an dabei, keineswegs, aber von dem Moment an, da ich das Büro betrat, Ilse M. Aschner und andere Kolleg*innen kennenlernte, begann ich zu lernen, dass und wie man eine Organisation, oder vielleicht besser gesagt ihre Ziele und die vielfältigen Versuche, sie in die Wirklichkeit zu bringen, lieben und ins Herz schließen kann.

Zum 50-Jahre-Jubiläum hat die GAV Salzburg ein Postkartenbuch ediert. Mit Postkarten von: Brita Steinwendtner, Roswitha Klaushofer und Vladimir Vertlib.
GAV/Brita Steinwendtner

Liebe lernen

Ja, Liebe kann man lernen. Man soll sie vielleicht auch lernen, denn es ist selten, dass sie in brauchbarer Art und Weise vom Himmel fällt. Wie lernt man die Liebe? Natürlich ist es ein bedeutsamer Unterschied, eine Organisation lieben zu lernen oder zum Beispiel sich selbst, einen oder mehrere Mitmenschen oder das Leben selbst. In jedem Fall ist es sicherlich von Vorteil, sich nicht nur auf die Gefühlswelt zu verlassen, von der man glaubt, dass sie die eigene ist. Es gilt auch, die Liebe als vielschichtige Erfahrung zu sehen, in der vieles möglich ist, von Täuschung bis Enttäuschung, von Solidarität bis Zorn, von Entwicklung bis Verwicklung.

Beim Erlernen einer Liebe, die sich auf eine Vielheit bezieht, ist es gelegentlich hilfreich, sich selbst als Vielheit zu begreifen, als Person nämlich, in der verschiedene Standpunkte Platz haben, die nicht ganz locker nebeneinander stehen können, manchmal aber doch. Für "Alles" gilt das aber nicht, sonst wäre es nicht Liebe, sondern Beliebigkeit, und die GAV lieben lernen heißt mehr, als dass es mir beliebt. An den Abschluss dieses Blitzlichts zur Lehr- und Lernbarkeit der Liebe stelle ich ein kurzes Zitat von Gilles Deleuze und Félix Guattari. Es stammt aus dem Buch Rhizom: "Macht Rhizome und keine Wurzeln! Seid nicht eins oder viele, seid Vielheiten! Laßt in euch keinen General entstehen! Seid der rosarote Panther! Und mögen eure Lieben sein wie die Wespe und die Orchidee, wie die Katze und der Pavian!"

Dichtet in slowenischer Sprache: Cvetka Lipus. Die Autorin ist die Tochter des Schrifstellers Florian Lipus.
GAV/Cvetka Lipus

Raues Saugpostpapier

Mein erster Besuch im Büro der Grazer Autorinnen Autorenversammlung hatte den Zweck, dass ich beim Vorbereiten der Mitgliederpost mithelfen durfte. Wir falteten Papiere und steckten sie in Kuverts, meist handelte es sich um Informationen über Veranstaltungen, über neu aufgenommene Mitglieder, über Vorstandsbeschlüsse sowie gelegentlich Zahlscheine zur Bezahlung des Mitgliedsbeitrags. Die Informationen befanden sich auf Einzelblättern, oft mit einer altmodischen Maschine von sogenannten Wachsmatrizen auf raues Saugpostpapier "abgezogen"; wie man es nannte. Das Zusammensitzen und die sich dabei ergebenden Diskussionen mit den anderen Anwesenden sind mir in bleibender Erinnerung, ebenso wie die Einwürfe von Ilse M. Aschner, die dafür Sorge trug, dass verschiedene Aspekte und Wahrnehmungen zur Sprache kamen und dass wir uns nicht in Ratlosigkeit oder in allzu großen Erwartungen oder Zwistigkeiten verloren.

Als jemand gesucht wurde, um im Büro als Trainee zu arbeiten, meldete ich mich, zuvor hatte ich um Aufnahme in den Verein angesucht, der damals in etwa dreihundert Mitglieder hatte. Roland Innerhofers Buch mit dem Titel Die Grazer Autorenversammlung 1973–1983: Zur Organisation einer "Avantgarde" war sozusagen Standardliteratur, um den Verein kennenzulernen. Wir schrieben das Jahr 1986, die GAV war schon 13 Jahre alt.

Das Buch der GAV, zum 50-Jahre-Jubiläum.
GAV

Impulse, Feedbacks oder Gedankenblitze

Nicht alle dreihundert Mitglieder liebten mich, wie ich heute glaube, nicht alle waren von meinem Auftreten begeistert, aber das spielte wenig Rolle für meine eigene Begeisterung. Ich bin zwar nicht sicher, ob ich alle dreihundert gleichermaßen liebte, da ich sie vermutlich gar nicht alle kannte, aber ich war willens, mich zu begeistern, und ich hatte den festen Plan, von jedem Mitglied mindestens einen Text zu lesen. Ich bin nicht sicher, ob mir das bis heute gelungen ist beziehungsweise weiterhin gelingt, heute, da die Grazer Autorinnen Autorenversammlung etwa 700 Mitglieder hat. Eher nicht, fürchte ich, aber ganz aufgegeben habe ich noch nicht.

Was aber war der zündende Funken für die Liebe?

Vielleicht erstens: die Art und Weise, wie das Dabeisein gedacht wurde. Im Prinzip war es das, was heute niederschwellig genannt wird. Jedes Mitglied war willkommen, durfte, ja sollte Ideen einbringen, natürlich nicht nur fertige Ideen, das wäre allzu leicht dahingesagt, sondern auch Impulse, Feedbacks oder Gedankenblitze. Es war natürlich nicht so, dass alle Mitglieder diese Möglichkeiten gleichermaßen wahrnahmen, nein, das nicht, es wäre wohl auch etwas viel gewesen, wenn dreihundert Mitglieder sich mit voller Kraft und vollem Engagement eingebracht hätten. Aber so war es nicht: Es gab welche, die gerade viel Energie hatten und auch Vergnügen an der sogenannten Vereinsarbeit, andere hielten sich eher im Hintergrund, tauchten gelegentlich auf oder sendeten ein neu erschienenes Buch, es gab Kolleginnen und Kollegen, die still waren, und welche, die einfach nur da waren.

Und zweitens

Vielleicht zweitens: der Versuch, ein Miteinander zu (er)finden und sich dabei der großen Unterschiede bewusst zu sein. Fragile und bedeutsame Unterschiede, die das Geld betrafen, den Erfolg, die Schreibhaltung, die Vorlieben, die Abneigungen, die Lebensweise, die Lebensmittelpunkte, die schicksalhaften Erfahrungen wie Krankheiten und Gesundheiten, die Stellung im Literatur- und Kunstbetrieb, die zuteilwerdende Aufmerksamkeit, die Verpflichtungen jenseits des Literaturbetriebs, ob sie nun Nebenjob hießen oder Care-Arbeit.

Und Konflikte? Ja, die gab es

Und was ist mit Konflikten? Ja, die gab es, und ich denke, es wird sie immer wieder geben. Vielleicht gut so, solange sie kein zerstörerisches Potenzial entfalten. Ich fürchte Konflikte aller Art, zugleich ist mir ihre Notwendigkeit bewusst.

Das Folgende aber blieb und bleibt klar, für uns alle, die Mitglied der GAV sind oder werden wollen: Antisemitismus, Sexismus, Rassismus haben keinen Platz.

Ich zitiere aus dem Selbstverständnis unserer Versammlung: Wir beziehen aktiv Stellung gegen jegliche Diskriminierung, sei es aufgrund von Geschlecht, Gender, Sexualität, sozialer oder ethnischer Herkunft, Religion, Hautfarbe, körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, Sprache, Alter oder aus anderen Gründen.

GAV/Vladimir Vertlib

Das Jubiläum

Das 50-Jahre-Jubiläum beinhaltet ein dreitägiges Programm inklusive einer Ausstellung, die von 2. bis 9. Mai in der Kunsttankstelle Ottakring zu sehen sein wird. Am 4. Mai gibt es einen Stadtspaziergang zu drei für die GAV bedeutsamen Orten in Wien. Am 5. Mai findet (ebenfalls in der Kunsttankstelle) eine öffentliche Mitgliederversammlung statt, wobei ausgehend von Impulsreferaten über das Profil der GAV sowie über Veränderungen des literarischen Feldes diskutiert wird. Am 6. Mai werden an sechs Stationen in der Grundsteingasse in Ottakring Lesungen stattfinden, zugleich ist in der Kunsttankstelle die erwähnte Ausstellung geöffnet. Folgende Kolleginnen und Kollegen werden auftreten: Hanane Aad & Peter Waugh, .aufzeichnensysteme, Bettina Balàka, Ann Cotten, Dimitré Dinev, Raphaela Edelbauer, Lydia Haider, Mila Haugová, Max Höfler, Semier Insayif, Rhea Krčmářová, Margret Kreidl, Ludwig Laher, Barbi Markovic, Mieze Medusa, Onophon, Wally Rettenbacher, Bernhard Saupe, Simone Schönett, Julian Schutting, OP. Zier. Von den folgenden Mitgliedern werden bildnerische Arbeiten zu sehen sein: Anton Blitzstein, Helga Cmelka, Brigitta Falkner, Eva-Maria Geißler, Thomas Havlik, Lore Heuermann, Christine Huber, Gerhard Jaschke, Bine Maier, Gerald Nigl, Lisl Ponger, Günter Vallaster, wechselstrom, Fritz Widhalm. (Ilse Kilic, 23.4.2023)