Nach 30 Sekunden auf Instagram waren die meisten Testpersonen nicht mehr in der Lage, ein beworbenes Produkt objektiv zu bewerten.

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Soziale Medien können psychisch anstrengend sein. Wer geistig ausgelaugt ist, lässt sich eher von einer hohen Anzahl von Likes auf Beiträgen beeinflussen – sogar bis zu dem Punkt, an dem man auf Werbung für Produkte klickt, die man gar nicht braucht oder will, wie ein Forscherteam aus den USA nun herausfand.

Matthew Pittman ist Assistenzprofessor für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit an der Universität von Tennessee und hat gemeinsam mit seinem Kollegen Eric Haley drei Online-Studien mit Freiwilligen im Alter von 18 bis 65 Jahren durchgeführt. Die beiden wollten herausfinden, wie Menschen unter verschiedenen psychischen Belastungen auf Werbung reagieren.

Social-Media-Konsum führte zu wirren Antworten

Dazu zeigten die Forscher ihren menschlichen Versuchskaninchen eine Werbeanzeige. Eine Gruppe bekam die Anzeige zu sehen, ohne eine Aufgabe erfüllen zu müssen. Die zweite Gruppe musste sich eine neunstellige Zahl einprägen und dann die Anzeige ansehen. Die dritte Gruppe scrollte 30 Sekunden lang durch ihren Instagram-Feed und sah sich dann die Anzeige an.

Geworben wurde einmal für einen Catering-Dienst, für Eis und schließlich für Kaffeebohnen. Doch die Forscher manipulierten die Likes unter der Anzeige, bei manchen hatte die Anzeige wenige hundert Herzchen, beim nächsten Mal mehrere zehntausend.

Dabei stellte sich heraus, dass jene Gruppe, die zuerst Instagram nutzte, am ehesten bereits war, das angezeigte Produkt zu kaufen, wenn es viele Likes oder Kommentare gab – so weit wenig verwunderlich. Aber: Die Probandinnen und Probanden, die 30 Sekunden durch Social Media gescrollt hatten, taten sich viel schwerer damit, zu bewerten, ob sie das Produkt brauchen oder nicht.

Die Teilnehmenden der ersten Gruppe ohne spezifische Aufgabe konnte klare Angaben zu der Werbung machen und auch erklären, warum sie ein Produkt kaufen würden oder nicht. Diejenigen, die nur 30 Sekunden lang durch Instagram gescrollt hatten, gaben jedoch oft Antworten, die keinen Sinn ergaben. Einige gaben auf die Frage, warum sie das Produkt kaufen würden, Ein-Wort-Antworten wie "Essen" oder "Teller". Andere sagten den Forschern ausdrücklich, dass dies schwer zu verarbeiten gewesen sei: "Es waren zu viele Wörter und Optionen auf dem Bild."

"Kognitive Überlastung" durch soziale Medien

Forscher bezeichnen diesen geistig erschöpften Zustand als "kognitive Überlastung". Die Nutzung sozialer Medien versetzt einen in diesen Zustand, weil man ständig verschiedene Arten von Text-, Foto- und Videobeiträgen von vielen verschiedenen Menschen bewertet. "Innerhalb weniger Sekunden können Sie einen Text von Ihrem Ehepartner, ein Foto von einem Kollegen, ein Video von einem Prominenten und ein Meme von Ihrem Bruder sehen. All dieses Scrollen und Bewerten lässt uns verwirrt und zerstreut zurück", schreibt Pittman in einem Gastbeitrag auf "Gizmodo".

"Stellen Sie sich vor, Sie fragen Ihren Mitbewohner, ob er mit Ihnen eine Pizza essen gehen möchte. Unter normalen Umständen würde der Mitbewohner mehrere Faktoren berücksichtigen, den Preis, den Hunger, den Zeitpunkt oder seinen Zeitplan. Stellen Sie sich nun vor, Sie stellen Ihrem Mitbewohner dieselbe Frage, während er gerade mit einem kranken Verwandten telefoniert, in einen Hundehaufen getreten ist und außerdem gerade eine SMS von seiner Ex erhalten hat, während er sich daran erinnert, dass er zu spät zur Arbeit gekommen ist. Sie haben nicht mehr die geistige Energie oder die Ressourcen, um logisch zu überlegen, ob Pizza zum Abendessen eine gute Idee ist. Sie schreien vielleicht einfach "Ja, klar!" und rennen ins Haus, um Ihre Schuhe zu putzen", so der Marketingprofessor.

Immune Kaffeekenner

Eine Ausnahme gibt es aber: Wer viel Erfahrung mit oder viel Wissen über ein Produkt hat, kann klar abschätzen, ob er oder sie vom Kauf eines Artikels wirklich profitiert. Das konnte Pittman im Experiment mit den beworbenen Kaffeebohnen demonstrieren: Kaffeeliebhaber unter den Testpersonen reagierten deutlich rationaler, selbst als sie durch Social Media geistig überfordert waren.

"Wenn die Verbraucher verstehen, wie sie unbewusst durch soziale Medien beeinflusst werden, können sie ihren Konsum überlegter und bewusster steuern – und hoffentlich nicht noch eine weitere Wasserflasche kaufen, die sie nicht brauchen", so Pittman.

Welche Social-Media-Plattformen am stärksten belastend sind, ist dem Forscher noch nicht klar. Aber: Medienreiche Umgebungen wie Tiktok, Instagram Reels und Youtube sind wahrscheinlich am anstrengendsten, weil sie Videos, Animationen und Ton enthalten – und das oft überlappend. "Diese Plattformen sind auch die Orte, an denen Werbetreibende viel Geld ausgeben, da sie eine hohe Rendite für Marken bieten", so Pittman. (red, 2.5.2023)