"Mir reicht's. Die ganze Stadt steht. Ich fahre jetzt nur noch mit dem Radl oder dem Mofa rein", ärgert sich im STANDARD-Gespräch ein Manager mittleren Alters, der täglich vom stattlichen Haus in schöner, grüner Grazer Randlage in die City einpendeln muss. Er wird nicht der Einzige sein, der in diesen Tagen auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigt.

Denn tatsächlich: Die Grazer Innenstadt steht tagsüber oft still, mit dem Auto ist kaum ein Weiterkommen, die halbe City ist eine Baustelle. Dies war lange geplant. Der innere Gürtel soll endlich verkehrstechnisch entlastet werden. Eine neue Tramlinie durch die Neutorgasse, die hinauf zur Annenstraße und zum Bahnhof führt, soll Erleichterung und vor allem weniger Autoverkehr bringen.

Die City – die Herrengasse, der Hauptplatz und der Südtirolerplatz – soll mit der neuen Linie entlastet werden. Denn gegenwärtig fahren alle Straßenbahnen über den Hauptplatz, durch die Herrengasse zum Jakominiplatz und vice versa. Da der Öffi-Verkehr weiter forciert wird, muss daher eine neue Trasse geschaffen werden.

Die stark befahrene Durchzugsstraße in der Neutorgasse, in der die neue Tramtrasse geführt wird, ist nun völlig gesperrt. Der zentrale Jakominiplatz, eine Bus- und Tramdrehscheibe, ist ebenfalls teilweise abgeriegelt und von tiefen Baugruben durchzogen. Dazu kommt: Weiter östlich wird die Zinzendorfgasse hin zur Universität Graz als verkehrsberuhigte Begegnungszone eingerichtet, weiter nördlich, im Unibereich, ein Radhighway eingezogen. Und: Die vom Durchzugsverkehr schwer belastete Marburgerstraße, die am ORF-Zentrum vorbeizieht, wurde nun unter viel Kritik zur Fahrradstraße mit teilweisem Fahrverbot für Pkws erklärt.

Graz wird umgebaut
Auf dem Jakominiplatz, im Zentrum der Stadt, geht für den Autoverkehr momentan nichts mehr. Auch hier wird alles für die neue Tramlinie vorbereitet.
Müller

Die für die Verkehrsagenden zuständige Vizebürgermeisterin Judith Schwentner lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass die neue Stadtregierung es ernst meint mit der Ankündigung, die Verkehrsprioritäten auf den Kopf zu stellen. Ganz oben auf der Agenda der grünen Politikerin stehen jetzt Fußgänger, für die bereits ein eigener "Masterplan" entworfen wurde. Ebenfalls darauf: der Radverkehr, gefolgt von den Öffis und ganz zum Schluss dem Autoverkehr. Der Plan soll auf das ganze Stadtgebiet einschließlich der Randzonen ausgerollt werden.

Verkehrschaos

Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) stärkt ihrer Stellvertreterin Schwentner dabei politisch den Rücken. Denn der Gegenwind bläst ordentlich. Die FPÖ und die ÖVP mobilisieren gegen die neue Verkehrspolitik in Graz. Die ÖVP wettert gegen den "ideologischen Parkplatzraub", die FPÖ in ihrer jüngsten Parteipostille gegen den "stupiden Kampf gegen das Auto". ÖVP-Chef Kurt Hohensinner, der jetzt in Opposition ist, kritisiert das "kommunistisch-grüne Drüberfahren", dies führe zu einem Verkehrschaos.

Hohensinner will nun die Bürgerinnen und Bürger über die Vorhaben befragen. "Man bekennt sich in der ÖVP zwar zu allgemeinen verkehrsberuhigenden Überschriften, im Detail, wenn es konkret wird, blockiert die Volkspartei so ziemlich alles", heißt es im Büro Schwentner. Tatsächlich hat laut Gemeinderatsprotokoll die ÖVP zum Beispiel gegen wichtige Mosaiksteine im Verkehrsplan, die Begegnungszone Zinzendorfgasse, den Radweg Burenstraße, die Radoffensive Petersgasse oder die neue Fahrradstraße in der Marburgerstraße beim ORF-Zentrum, gestimmt.

ÖVP-Blockade

Umbau Neutorgasse
In der Neutorgasse werden bereits die ersten Schienen für die neue Straßenbahn verlegt.
Müller

Die Blockade ist insofern bemerkenswert, als Ex-Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) die Radfahroffensive in Graz mit einem Stadt-Land-Masterplan eingeläutet hatte. Der ehemalige Landeshauptmann Herrmann Schützenhöfer (ÖVP) hatte die Radoffensive mit den Worten, der Radverkehr sei "die Mobilitätswunderwaffe für den Klimaschutz und gegen den Stau", gepriesen. Siegfried Nagl meinte, dass dieser nachhaltige Mobilitätswandel "nicht nur viel Geld kostet, sondern auch Mut zur Umsetzung erfordert".

Warum also blockiert jetzt die ÖVP ihre vormals unterstützte Verkehrswende im Verein mit der FPÖ so vehement? "Nein, das stimmt nicht", sagt die ÖVP-Klubchefin im Gemeinderat, Daniela Gmeinbauer, im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir blockieren nichts, wir stehen nach wie vor zur Radoffensive. Aber die Autofahrer dürfen nicht bestraft werden, die Straße darf nicht nur für die Radfahrer frei gemacht werden. Das ist ein Ungleichgewicht. Es kann nicht sein, dass es nur für die Radfahrer heißt 'Bahn frei', und die Autofahrer sind die Bösen." Die ÖVP wehre sich auch dagegen, dass jetzt gleich mehrere große Bauprojekte durchgezogen werden. "An manchen Tagen steht in der Stadt der Verkehr. Das geht einfach nicht", sagt Gmeinbauer.

Die Radlobby ist im Gegensatz zu ÖVP und FPÖ zufrieden, dass in Graz die Weichen "jetzt neu gestellt werden". Es sei "lange nichts passiert", nun tue sich was, sagt Heidi Schmitt, Obfrau der Radlobby Argus Steiermark.

"Es muss sich mehr ändern"

"Man sieht, politisch ist der Wille jetzt da, aber es muss sich noch mehr ändern, vor allem in den Köpfen vieler Beamter", sagt Schmitt. Es müsse nun aber auch darum gehen, neben den großen Bauvorhaben auch die kleinen Lücken im Radnetz der Innenstadt zu schließen. "Unlogisch" sei es, dass sich die ÖVP und die Wirtschaftskammer dermaßen gegen die Mobilitätswende wehrten. "Die fallen zurück in die Verkehrspolitik der 1960er-Jahre. Sie haben den Wandel irgendwie noch nicht kapiert", sagt die Obfrau der Radlobby.

Die neue Tramlinie durch die Neutorgasse, wo die ersten Schienen bereits gelegt werden, soll zur Gänze Ende 2025 fertig werden. Die lange Zeit des Umbaus ließ natürlich auch Spekulationen entstehen, dass dies gewollt sei. Denn je länger und mühsamer es wird, sich mit dem Auto in der Stadt zu bewegen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass viele vermehrt aufs Rad oder Mofa umsteigen. (Walter Müller, 4.7.2023)