Die Adria ist zu Ferragosto spiegelglatt am nördlichen Strandabschnitt von Lignano. Alles wirkt ein bisschen retro am heiligsten der italienischen Feiertage, die pastellige Färbelung der Fassaden in der Fußgängerzone verblasst mit jedem Sonnentag mehr. In einer Aperitivo-Bar an der Strandpromenade nippt ein altes Ehepaar aus Oberösterreich um elf Uhr vormittags am lauwarmen Lambrusco. Im Hintergrund winkt eine Sechsjährige mit rosarotem Einhornbadeanzug und Schirmkappe in Rot-Weiß-Rot den Menschen am Hausmeisterstrand von einem Tretboot im Wasser aus zu. Sie tut es übertrieben fröhlich und mit einem Grinsen, als wollte sie sagen: Elabätsch, meine Eltern haben euch das letzte Boot weggeschnappt! Es ist eine dieser kleinen Gehässigkeiten unter Urlaubern, die an Gerhard Polts Achtzigerjahresatire Man spricht deutsh erinnern.
Außenstehende, die vom Lungomare auf den goldgelben Sandstrand Sabbiadoro, auch bekannt als Teutonengrill, herüberblinzeln, stellen obergescheite Fragen wie: Warum gibt es hier so viele Menschen, aber so wenige Tretboote? Eine plausible Erklärung liefert Stefano Baldo, der hier ebenfalls Boote an einem Strandstreiferl zwischen dem alten Leuchttürmchen und dem haustierfreundlichen Doggy-Beach vermietet. "Die Investition in mehr Tretboote sollte momentan gut überlegt sein", warnt er. Mit "momentan" meint Baldo eine Bedrohung, die seit 17 Jahren wie ein Damoklesschwert über Italien schwebt.
Im Jahr 2006 hat die EU die Bolkestein-Direktive erlassen. Diese unterwirft die Vergabe öffentlicher Güter und Dienstleistungen in Europa dem Wettbewerb. Für die Strandbäder in Italien, die sogenannten Stabilimenti, bedeutet das: Jahrzehntelang waren die Konzessionen innerhalb der Familien der Strandbadbetreiber weitergegeben und von allen Regierungen stillschweigend verlängert worden. Per 31. Dezember 2023 ist nun Schluss damit. Unter Mario Draghi endete diese Praxis, die Regierung Giorgia Meloni muss das nonchalant ignorierte EU-Recht nun umsetzen und die Vergabe öffentlich ausschreiben. Dafür soll es definierte Regeln geben, das Preis-Leistungs-Verhältnis der Dienstleistungen muss passen, und Naturschutzaspekte könnten bei neuen Lizenzen eine Rolle spielen.
Entscheidung vertagt
An dieser Stelle steigt wieder Stefano Baldo mit seinen "momentanen" Bedenken ein: Erst Anfang August habe sich die Ministerpräsidentin mit allen von der Materie betroffenen Ministern zusammengesetzt – und die Entscheidung über gültige Regeln gleich wieder auf September vertagt. "Ich weiß bislang nur, dass meine Konzession Ende des Jahres ausläuft, aber nicht, was ich tun muss, um eine neue zu bekommen", beklagt Baldo. Dabei wären eindeutig definierte Spielregeln in den Strandbädern generell hilfreich.
Bei einem Mitbewerber sei die Pacht für einen Ministrand quasi von heute auf morgen von 600 auf 2500 Euro angehoben worden, beklagt Baldo die undurchsichtige Preisgestaltung des Staates. Er selber habe seinen früheren Beruf als Schuhverkäufer in der Fußgängerzone für die Bewirtschaftung eines sandigen Strandrechtecks im entzückenden Format von fünf mal zwanzig Metern aufgegeben. Liegestühle und Schirme, die zu Höchstpreisen vermietet werden können, passen da keine drauf. Baldo muss daher neben der Tretbootvermietung auch Ausflüge in die Lagune und etliche weitere kleine Dienstleistungen anbieten, um ein Auslangen zu finden.
Teure Verbote
Ein zusätzliches Problem sind regional verhängte Regeln. So wurde in Apulien gerade ein Verbot für den Verzehr von mitgebrachten Speisen am Strand ausgesprochen. Einheimische Familien könnten die mindestens 200 Euro, die für Eintritte, Liegen und Essen verlangt werden, für einen einzigen Tag am Strand bald nicht mehr aufbringen, empört sich ausgerechnet der apulische Tourismusverband. Bloß die scheinbar grenzenlosen Verdienstmöglichkeiten in den landesweit rund 12.000 Stabilimenti vor Augen zu haben greife zu kurz, warnt Baldo. So würde etwa an der Oberen Adria eine schnöde Boje, die zum Festmachen von Booten verpflichtend ist, pro Stück schon 2500 Euro Pacht pro Jahr kosten.
Stellt sich die Frage, für wen die italienischen Strandbäder tatsächlich ein gutes Geschäft sind. Insgesamt belaufen sich die Einnahmen aus Bädern jährlich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, wobei nur rund 100 Millionen Euro an Pachteinnahmen beim Staat landen. Kleine Familienbetriebe sind nicht unbedingt die großen Profiteure dieser offensichtlichen Differenzbeträge in der Kassa. Lukrativ ist die Rechnung wohl etwa eher für den ehemaligen Formel-1-Chef Flavio Briatore, der für seinen Strand bei Livorno nur 19.000 Euro für die Pacht ausgeben muss, damit aber sechs Millionen Euro einnimmt.
Von solchen Margen kann einer wie Baldo nur träumen. Er hat seinen 100 Quadratmeter großen Teutonengrill das letzte Mal vor fünf Jahren renoviert und sich schon lange kein zusätzliches Tretboot mehr geleistet. (Sascha Aumüller, 20.8.2023)