Wenn der äußerst umstrittene US-Moderator Tucker Carlson den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zum Interview einlädt, finden zwei zusammen, deren politische Überzeugungen sich in den vergangenen Jahren durchaus in eine ähnliche, stramm rechte und illiberale, von Verschwörungserzählungen geprägte Richtung entwickelt haben. Von einem liberaleren Standpunkt aus. So ist es auch kein Wunder, dass sich die beiden in dem am Mittwoch auf X, vormals Twitter, ausgestrahlten, rund 30-minütigen Video bestens zu verstehen scheinen und Carlson immer wieder überschwänglich lacht bei den Antworten seines Gegenübers.

Orbán im Gespräch mit Carlson.
EPA/Vivien Cher Benko / Hungaria

"Es ist eine Lüge, es ist unmöglich", entgegnet Orbán Carlson, als dieser fragt, ob die in den USA vordergründige Meinung denn stimme, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinne. Auch die Rückeroberung der Krim sei ein Ding der Unmöglichkeit, glaubt der Ungar. Er bemüht dafür die scheinbar einfache Rechnung, dass den Ukrainern aufgrund der Bevölkerungszahl eher die Soldaten ausgehen werden als Russland – Technik und Strategie spielen in seinen Überlegungen dabei offenbar keine Rolle. Außerdem werde Russland stets mehr produzieren, als der Westen der Ukraine liefere, behauptet Orbán. Um 2008 herum habe man die "historische Chance verpasst, die Ukraine in die Nato zu bringen", sagt Orbán. Nachher sei das mit einem erstarkenden Russland nicht mehr möglich gewesen. Heute gelte es dennoch, Russland in eine künftige Sicherheitsarchitektur Europas zu integrieren, glaubt der Premier.

Nur einmal, gegen Ende des Interviews, scheint Orbán wirklich froh darüber, ein Teil der Nato zu sein. Es gehe letztlich darum, stärker als Russland zu sein, so könne man sich sicher fühlen. Und Nato-Staaten seien in der Frage konventioneller Waffen stärker als Moskau, ist er überzeugt, schließlich könne Russland ja nicht einmal die Ukraine besiegen.

Weltretter Trump

Auf die Frage Carlsons, was sein nächster Zug wäre, wenn er Nato-Chef oder US-Präsident wäre, sagt Orban: "Frieden. Sofort. Und Trump zurückholen, das ist der einzige Ausweg." In seiner Präsidentschaft von 2017 bis 2021 habe Donald Trump "für die Welt die beste Außenpolitik der letzten Jahrzehnte" gemacht, auch wenn natürlich nicht einmal Trump fehlerfrei sei. Wäre Trump im Februar 2022 in den USA an der Macht gewesen, hätte Russland die Ukraine gar nicht erst angegriffen, spekuliert Orbán weiter.

Trump habe keine neuen Kriege begonnen und Nordkorea, Russland und selbst China "nett behandelt", so Orbán. "Also ist Trump der einzige Mann, der die westliche Welt retten kann und vielleicht alle menschlichen Wesen auf der Welt", sagt er in Anspielung auf einen möglichen atomaren Konflikt. Schauplatz des Interviews war eine Terrasse mit Donaublick, die zu Orbáns Residenz gehört, einem ehemaligen Kloster auf der Burg von Buda.

Die nicht von Trump regierten USA kritisiert Orbán aber auch in bilateraler Hinsicht. Die Doppelbesteuerung von in Ungarn lebenden US-Bürgern etwa ist ihm ein Dorn im Auge, hat das Weiße Haus doch ein Abkommen annulliert, das man mit Russland immer noch aufrechterhalte. Als Verbündeter der USA in der Nato werde man "schlechter behandelt als Russland", beschwert sich der Langzeitpremier, der das offenbar an seiner Person festmacht. Es sei prinzipiell natürlich einfacher und angenehmer, wirtschaftlich mit den USA zu florieren als ohne sie, aber im Zweifel könnte man auch alleine überleben, glaubt Orbán.

Verlust "ungarischer Menschenleben"

"Wir als ungarische Nation verlieren täglich Menschenleben", sagt Orbán auch und spricht damit die ungarische Minderheit in der Ukraine an, die immer wieder in Großungarn-Fantasien von ungarischen Ultranationalisten "zurückgeholt" werden sollte. "Ungarische Soldaten sterben als ukrainische Staatsbürger für die Ukraine", kritisiert er offenbar die Einberufung ethnischer Ungarn in die ukrainische Armee, nicht aber das Töten selbiger durch russische Soldaten und Wagner-Söldner. In Ungarn dürfe man zumindest noch patriotisch sein, sagt er an einer späteren Stelle des Interviews.

Tucker gibt sich beim Interview äußerst interessiert und begeistert, wenn Orbán über einen dritten Weltkrieg fabuliert, der unmittelbar ausbrechen würde, sobald ein westlicher Soldat die Ukraine betreten würde. Über die Nord-Stream-Pipelines, die aus Sicht Carlsons "unbestritten" von der Biden-Regierung "oder deren 'proxies' (Bevollmächtigte, Stellvertreter, Anm.)" gesprengt wurden, sagt Orbán nur so viel – und das auch, "ohne die Deutschen kritisieren zu wollen": Man habe klargemacht, dass man mit den Staaten der Region am südlichen Korridor, der Gas via Türkei und Serbien nach Ungarn bringt, nicht so umgehen könne wie mit den Deutschen. Das werde man nicht zulassen.

Orbán nahm nicht zum ersten Mal eine Einladung Carlsons an.
EPA/Vivien Cher Benko / Hungaria

Teil eines Friedensdeals für die Ukraine müssten die USA sein, denn diese könnten schon morgen einen Frieden ausverhandeln, ist Orbán überzeugt. Die "armen Ukrainer" seien ohne die Finanzhilfe der USA schließlich aufgeschmissen. Niemand sonst könne einen Frieden beschließen, und man solle die Ukrainer natürlich schon auch involvieren, findet der Langzeit-Ministerpräsident.

"Freie" Medien

"Die Familie, die Nation und Gott" sind jene Dinge, die laut Orbán wichtiger sind als das Ego, das allerdings in westlichen Gesellschaften meist an erster Stelle stehe. Schuld daran seien die ideologischen Intellektuellen, die die Politik infiltrierten. Liberal zu sein bedeute in Europa mittlerweile, ein Feind der Freiheit zu sein, so der überzeugte Illiberale. Zum Thema Freiheit hat auch Tucker Carlson, von Fox News einst wohl wegen rassistischen und gewaltverherrlichenden Textnachrichten gefeuert – versendet just am Tag des Kapitolsturms –, besonders interessante Ansichten. Die ungarische Medienlandschaft sei "viel freier und vielfältiger" als jene der USA, sagt Carlson, und Orbán entgegnet lachend: "Ich muss jeden Tag dafür kämpfen."

Bei seinem ersten Treffen mit Wladimir Putin habe er vorgeschlagen, die traurige Geschichte beider Staaten auszuklammern, so Orbán – als etwa die Ungarn im 19. Jahrhundert gegen die Habsburger aufbegehrten und dies auf Befehl aus Wien mithilfe des russischen Zaren niedergeschlagen wurde. Dann die Besetzung im Zweiten Weltkrieg und wiederum die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands im Jahr 1956. Trotz allem versuche er eine "rationale Beziehung" zu Moskau zu haben. Marionette Putins sei er aber keine, das sei lachhaft und würde jeder Ungar auf der Straße verneinen, schließlich sei man ja souverän, so Orbán. (Fabian Sommavilla, 31.8.2023)