Es ist wirklich ein Dilemma", sagt Wolfgang Kofler, die rechte Hand des Villacher Bürgermeisters Günther Albel (SPÖ). "Die Stadt wächst und wächst, wir brauchen dringend neuen Wohnraum, aber wenn wir Projekte vorstellen, hagelt es Kritik wegen der Bodenversiegelung, die bei uns ohnehin sehr gering ist."

Villach müsse den Spagat zwischen Wachstum und Erhalt der Lebensqualität schaffen, sagt Bürgermeister Albel.
Marta Gillner

Villach hat im Vergleich zu anderen Städten in Kärnten gewissermaßen ein Luxusproblem. So stark wie hier wächst die Bevölkerungszahl nirgendwo sonst im Bundesland – im Schnitt um 1000 Personen pro Jahr. Laut Erhebung der Statistik Austria zählt Villach momentan 65.127 Einwohner, damit wurde die vor Jahren errechnete Langzeitprognose für 2050 bereits übertroffen.

Mit einem Bevölkerungszuwachs von zuletzt 1,36 Prozent liegt Villach also auf dem ersten Platz im Kärnten-Ranking. Die Landeshauptstadt Klagenfurt kommt mit einem Wert von 0,83 Prozent auf den zweiten Rang. In Hermagor, Spittal oder im Lavanttal wird sogar ein Rückgang der Bevölkerungszahlen registriert. Ohne Villachs Expansion würde auch Kärnten insgesamt nicht mehr wachsen.

Das Villacher Wachstum ist natürlich ursächlich mit einem Namen, einem Industriekonzern verbunden: Infineon. Rund um den Chiphersteller haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Tech-Unternehmen angesiedelt, zum Teil Zulieferer, die in Summe einen prosperierenden Hightech-Hotspot für den Alpen-Adria-Raum geschmiedet haben. Mittlerweile sind 17 Prozent aller Beschäftigen im Raum Villach in diesem Sektor tätig. Das bringt zwar beachtliche Dynamik in den Jobmarkt und der Stadt erkleckliche Einnahmen über die Kommunalsteuer, aber auch neue Kosten. Denn mit der seit längerem boomenden Industrie muss auch die städtische Infrastruktur angepasst werden: bilinguale Schulen und Kindergärten, neue Straßen, Radwege, öffentlicher Verkehr, Wohnungsangebot, Freizeitangebote, Ausbau der Kanalisation.

Villach muss heute jedenfalls größer gedacht werden als noch vor zehn Jahren geplant, was natürlich auch Risiken birgt, wovor Gerald Dobernig von der Partei Verantwortung Erde, die in der Villacher Stadtregierung die Agenden Umweltschutz und Stadtplanung verantwortet, warnt.

Problem Versiegelung

So euphorisch wie die Bürgermeisterpartei SPÖ über den prosperierenden Konzern Infineon und die dort angedockten Hochtechnologieunternehmen, die die Stadt antreiben, ist Dobernig nicht. "Wenn der Bürgermeister sagt, dass 17 Prozent aller Jobs im Halbleiterbereich liegen, bin ich vorsichtig. Es ist trotz des Erfolges eine volatile Industrie", sagt Dobernig.

Das gegenwärtig brennendste Problem hängt aber unmittelbar mit der Zuwanderung in den Industriesektor zusammen: Villach braucht dringend neuen Wohnraum. Und das ohne weitere Versiegelung des Bodens. "Es geht darum, leistbares Wohnen zu ermöglichen, und das mit möglichst wenig Bodenverbrauch", sagt Bürgermeister Albel. Drei Großprojekte mit insgesamt fünf Hektar, auf denen 800 Wohneinheiten errichtet werden, sollen jetzt genau in diese Richtung entwickelt werden.

"Es handelt sich bei den Flächen zum Teil um alte, brachliegende Flächen, um Parkplätze oder Lagerhallen, die nun für Neubauten genutzt werden. Das heißt, hier wird null versiegelt", sagt Albel. Und: Ein Gutteil der Wohnungen müsse für den sozialen Wohnbau reserviert werden. "Da sind wir knallhart", sagt Albel, "sonst gibt’s keine Widmung." Außerdem gebe es für einzelne Projekte Vorgaben, dass Kindergärten gebaut und Grünflächen angelegt werden müssen.

Viele leere Wohnungen

Verantwortung-Erde-Politiker Dobernig glaubt, dass Villach eigentlich genug Wohnraum hat, zumal allein der Leerstand eine große Anzahl an Wohnungen freimachen würde. "Natürlich: Die Sanierung von Altbeständen ist nicht sexy, und es ist besser und leichter, auf der grünen Wiese zu bauen", sagt Dobernig.

Tatsächlich hat Villach einen sehr großen Bestand an leerstehenden Wohnungen, insgesamt 3363 Objekte, das entspricht rund sieben Prozent des Gesamtwohnbestands, wie die Stadt in einer Studie anhand des Stromverbrauchs erheben ließ. Stadtamtsdirektor Christoph Herzeg relativiert allerdings, dass nicht alle Wohnungen auch marktfähig seien.

Bürgermeister Albel ergänzt, dass eine Stadt durchaus rund drei Prozent leerstehende Wohnungen brauche, um auf einen Neubedarf flexibel reagieren zu können. Der Rest in Villach sei tatsächlich nicht bewohnbar, weil zum Großteil völlig sanierungsbedürftig. Daher habe man eine Initiative ins Leben gerufen, um Immobilienbesitzer dabei zu unterstützen, die Wohnungen wieder beziehbar zu machen.

Allein mit dem geförderten Wohnbau könne der große Bedarf jedenfalls nicht gedeckt werden, "weil zahlreiche neue Mitarbeiter von Infineon zu viel für Förderungen verdienen, sie daher auch auf dem freien Markt ein Angebot brauchen", sagt Harald Repar, Chef der Landeswohnbau Kärnten (LWBK), einer gemeinnützigen Einrichtung. Daher seien Neubauten auch im Privatbereich notwendig. Allerdings gehe man jetzt ohnehin dazu über, Altbestand wenn möglich auszubauen und in die Höhe zu ziehen.

Villach werde auch deshalb einen nachhaltigen Wohnbau brauchen, weil die zugewanderten Fachleute hierbleiben wollen, sagt Bürgermeister Albel. "Wir haben 80 verschiedene Nationalitäten in der Stadt, viele sind wegen des guten Verdiensts gekommen und haben sich natürlich zuerst gefragt: Who the hell is Villach? Aber wir haben nachgefragt, und da erklärten rund 80 Prozent, dass sie hierbleiben wollen. Weil eben die Lebensqualität groß ist, die Nähe zum Meer, man fährt auf einen Cappuccino nach Italien, wir haben Seen, die Berge, ein sicheres Leben und eine Stadt der kurzen Wege." Das enorme Wachstum zu meistern und die hohe Lebensqualität zu erhalten, das werde "die allerschwerste Aufgabe der nächsten Jahre", sagt Albel. (Walter Müller, 3.9.2023)