Der Imagewandel war beachtlich. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 schien das EU- und Nato-Mitglied Polen plötzlich zur europäischen Speerspitze bei der Unterstützung für Kiew zu werden. Fast hätte man glauben können, Warschaus Querelen mit Brüssel rund um das Thema Rechtsstaatlichkeit seien verstummt. Denn während Ungarn, das mit Polen stets an einem Strang zog, sich durch die demonstrative Nähe von Premier Viktor Orbán zu Kremlchef Wladimir Putin hervortat, wurde Polen zu einem wichtigen europäischen Partner bei der Aufnahme von Geflüchteten, bei Waffenlieferungen und bei politischer Hilfe für die Ukraine.

Jarosław Kaczyński hinter dem Rednerpult, dahinter eine polnische Fahne.
Jarosław Kaczyński, Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), agiert gerne aus der zweiten Reihe: Der Vizepremier gilt nach wie vor als der starke Mann Polens.
EPA/Lukasz Gagulski

Doch sind die innenpolitischen Grabenkämpfe, der Dauerclinch mit Brüssel und auch der immer wieder neu angefachte Konflikt mit dem Nachbarn Deutschland längst nicht vergessen. Das zeigt auch der aktuelle Wahlkampf. Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Und trotz der breiten Zustimmung für den proukrainischen Kurs kann von einem Abflauen der Polarisierung im Land keine Rede sein.

Alte Feinde

Die Hauptkontrahenten sind dieselben wie bei den vergangenen Wahlen: Auf der einen Seite steht die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Premierminister Mateusz Morawiecki. Ihr Chef ist Vizepremier Jarosław Kaczyński, der als eigentlich starker Mann Polens gilt.

Herausgefordert wird die PiS von der Bürgerkoalition (KO), einem Bündnis aus der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), der wirtschaftsliberalen Nowoczesna (Moderne), der linksliberalen Initiative Polen und den Grünen. Ihr Hoffnungsträger ist PO-Chef Donald Tusk. Er war von 2007 bis 2014 Regierungschef und ging dann für fünf Jahre als Ständiger EU-Ratspräsident nach Brüssel.

Chancen auf Platz eins darf sich die Bürgerkoalition wohl kaum ausrechnen: In den Umfragen liegt sie derzeit bei knapp 30 Prozent – und damit etwa sieben Prozentpunkte hinter der PiS. Doch auch Letzterer wird derzeit keine absolute Mehrheit im Parlament vorausgesagt.

Rechts-außen-Partei punktet bei Jungen

An dieser Stelle kommt die Rechts-außen-Partei Konföderation ins Spiel. Sie schwankt aktuell um die zwölf Prozent, würde damit auf dem dritten Platz liegen und als Königsmacherin infrage kommen. Eigentlich will die Partei, die vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern beliebt ist, mit niemandem koalieren, dennoch steht sie bereits im Mittelpunkt von Spekulationen. Möglich wäre demnach etwa, dass einige ihrer Kandidaten sich später als Sympathisanten Kaczyńskis outen und zur PiS überlaufen.

Aber auch eine vorübergehende Zusammenarbeit mit der KO wäre denkbar, sagt Adam Krzemiński, langjähriger Analyst der Zeitung Polityka. Ziel eines solchen Manövers wäre es, die PiS von den Trögen der Macht zu verdrängen und dann Neuwahlen zu organisieren. "Die PiS hat die ‚öffentlich-rechtlichen‘ Medien zu einem Propagandasprachrohr für sich gemacht", so Krzemiński zum STANDARD. Dieses würde die Menschen "mit unaufhörlichen Schmutzkampagnen gegen die Opposition füttern".

Dazu gehört etwa das Schüren des Verdachts, Tusk habe in seiner Zeit als Premier Moskau in die Hände gespielt. Sogar ein eigenes Gesetz, von polnischen Medien "Lex Tusk" genannt, soll für Nachforschungen bei ehemaligen Amtsträgern durch eine eigens installierte Kommission sorgen. Das Gesetz, das von Präsident Andrzej Duda, einem PiS-Mann, wenn auch in entschärfter Form abgesegnet wurde, sorgte für Massenproteste. "Die PiS weiß, dass das nur eine Stinkbombe ist", erklärt Krzemiński. "Sie hat acht Jahre lang alle geheimen Unterlagen durchgewühlt und nichts gefunden. Sie will nur Stimmung im Wahlkampf machen."

Gegen Brüssel

Heftig debattiert wird auch darüber, dass die PiS die Wahl mit einem Referendum verbindet, das laut Kritikern vor allem auf die Wirkung populistischer Suggestivfragen setzt. Etwa jener, ob man der "Aufnahme tausender illegaler Einwanderer" zustimmt, und zwar "nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus".

Das erinnert – trotz der neuen geopolitischen Situation – doch wieder an die vielen Kämpfe mit Brüssel. Zum Beispiel daran, dass Polens Verfassungsgericht 2021 urteilte, die nationale Verfassung stehe höher als das gemeinsame EU-Recht.

Und auch die antideutsche Saite wird wieder zum Klingen gebracht. Mit der Kritik an den ihrer Ansicht nach gegenüber Moskau zu zögerlichen Deutschen ist Polens Regierung gewiss nicht allein. Doch ein Wahlkampfspot, in dem Kaczyński in einer gestellten Szene einen Anruf des deutschen Kanzlers Olaf Scholz brüsk abweist, weil dieser angeblich auf die Erhöhung des Pensionsalters in Polen drängen will, zeigt das hohe Maß der Emotionalisierung im Wahlkampf. Sachthemen, bemängelt die Opposition, kämen da oft gar nicht mehr durch. (Gerald Schubert, 15.9.2023)