Petra Schaper Rinkel
Die deutsche Politikwissenschafterin und Innovationsforscherin Petra Schaper Rinkel hat mit 1. Oktober Langzeitrektor Gerald Bast an der Universität für angewandte Kunst beerbt.
APA/EVA MANHART

Nach 23 Jahren unter Gerald Bast steht die Universität für angewandte Kunst (Angewandte) mehr als gut da, hat viele neue Studienfächer und hat die Studierendenzahl (2.000) sowie das Platzangebot mehr als verdoppelt. Welchen Weg will seine Nachfolgerin gehen?

STANDARD: Von einer Professur für Wissenschafts- und Technikforschung in das Rektorat einer Kunstuni. Das ist kein logischer Schritt, oder?

Schaper Rinkel: Es gibt sehr enge Verbindungen zwischen den Künsten und den Wissenschaften. Ich sehe da keinen Widerspruch.

STANDARD: Ist es nicht die primäre Aufgabe einer Kunstuni, Künstlerinnen und Künstler auszubilden? Das hat mit Wissenschafts- und Technikforschung wenig zu tun.

Schaper Rinkel: Natürlich stehen die Künste im Zentrum der Angewandten, aber verflochten mit den gestaltenden Disziplinen wie Architektur oder Design und mit der Tradition der wissenschaftlichen Fächer in den Geistes- und Kulturwissenschaften. In den letzten Jahren haben wir auch viele trans- und interdisziplinäre Studiengänge entwickelt. Wie die Künste mit all dem zusammenspielen, wird wichtiger.

STANDARD: Ihr Vorgänger war stolz darauf, aus der Angewandten eine Forschungsuniversität gemacht zu haben. Diesen Weg gehen Sie weiter?

Schaper Rinkel: Exzellenz und das Neue zu erkennen geht nur in dem jeweiligen Fach. Dazu muss man die eigene Geschichte und Tradition sehr gut kennen. Für mich sind die Stärkung und die Autonomie der Künste und der wissenschaftlichen Disziplinen die notwendige Voraussetzung, um in interdisziplinären Bereichen exzellent zu sein.

STANDARD: Geht es um Exzellenz nicht im Doktoratsstudium? Etwa im Bereich der künstlerischen Forschung?

Schaper Rinkel: Künstlerische Forschung ist Teil einer hochwertigen Ausbildung – sich konzeptionell und historisch verorten zu können und auf eine Bandbreite von Ideen zurückzugreifen. Wir begreifen künstlerische Forschung nicht als ein geschlossenes Feld, sondern als Konzept, das wechselseitige Impulse aus den verschiedensten Künsten und Wissenschaften aufnimmt.

STANDARD: Früher war die Avantgarde sehr stark mit dem Experiment verbunden. Ist das Experiment von der Forschung abgelöst worden?

Schaper Rinkel: Nein. Ich sehe die Angewandte als Experimentalsystem für die Zukunft. In der heutigen Welt ist es wichtig, Studierende zum spekulativen Denken, zum historisch-kritischen Denken wie auch zum experimentellen Tun und Handeln zu befähigen.

"Ich sehe die Angewandte als Experimentalsystem für die Zukunft."

STANDARD: Was soll man können, wenn man die Angewandte verlässt?

Schaper Rinkel: Unsere Absolventinnen sollen in der Lage sein, in ihrem Fach in die Tiefe sowie konzeptionell in die Breite zu gehen. Sie sollen mit vielfältigen Konzepten und Materialien arbeiten können, und es gibt natürlich den Anspruch, dass es einen gesellschaftlichen Einfluss hat, was sie tun.

STANDARD: Sie sprechen nicht von Qualifikation für konkrete Berufe?

Schaper Rinkel: Diese Frage stellt sich in den verschiedenen Bereichen komplett unterschiedlich. Viele der Architekten oder Modeschöpfer, die hier unterrichten, haben Netzwerke, die für die Studierenden wertvoll sind. Da gibt es etablierte Berufsfelder für die Absolventen. In neueren Studiengängen, etwa im Social Design, gibt es große Nachfrage nach unseren Studierenden – hier erfinden sie die eigenen Tätigkeitsfelder mit. Der Arbeitsmarkt dreht sich gerade. Ich glaube prinzipiell, dass die Frage der Employability dem Diskurs der Zeit hinterher ist.

STANDARD: Der Arbeitsmarkt dreht sich im künstlerischen Bereich?

Schaper Rinkel: Es ist die Stärke der Angewandten, gleichermaßen eine hervorragende Ausbildung in den künstlerischen und gestaltenden Disziplinen zu garantieren und durch interdisziplinäre Angebote neue Felder zu erschließen. Wir thematisieren die Themen der Zeit theoretisch und praktisch und insbesondere durch intensive Projektarbeit. Diese Gestaltungsfähigkeit wird auf allen Feldern wichtiger.

STANDARD: Auf welchen konkret?

Schaper Rinkel: Meine These ist, dass in Zukunft die Kombination der künstlerischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten mit einem breiten, interdisziplinären Verständnis gesellschaftlicher Veränderungen besonders gefragt sein wird. Die Gestaltungsorientierung der Angewandten stützt sich auf verankertes Wissen und Erfahrung. Da geht es darum, radikal zu experimentieren, Systeme an ihre Grenzen zu treiben – etwas, das Künstler besonders gut können.

STANDARD: Wo sehen Sie konkrete Veränderungen, die Sie anstoßen möchten? Neue Studienrichtungen?

Schaper Rinkel: Ob die Beschäftigung mit dem Neuen in Klassen oder als Querschnitt implementiert wird, das diskutieren wir gerade. Wir werden sehr experimentell und radikal mit künstlicher Intelligenz, mit algorithmischen Systemen arbeiten, denn KI verändert die gesamte Welt der Kunst und der Wissenschaft. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit Materie und Materialität im postdigitalen Zeitalter. Die Zukunft liegt darin, mit den Möglichkeiten klassischer und neuer Materialien in den Künsten, im Design und in der Architektur zu experimentieren. In den Werkstätten soll das Zusammenspiel künstlerischer, wissenschaftlicher und handwerklicher Praktiken gestärkt werden.

STANDARD: Bleibt's bei den Klassen?

Schaper Rinkel: Das Klassensystem hat die Stärke, dass die Studierenden untereinander und mit den Lehrenden ein enges Miteinander entwickeln. Es ist mir aber wichtig, dass Studierende von der Institution Angewandte so vielfältige Impulse wie möglich bekommen können. Wir werden mehr Platz für die Werkstätten brauchen, um diese als verbindendes Element zwischen Künsten und Klassen zu stärken.

STANDARD: Also weitere Expansion?

Schaper Rinkel: Ja, wir freuen uns darauf, Ideen mehr Raum zu geben. (Stephan Hilpold, 16.10.2023)