Hunger auf Kunst und Kultur
Das mit Essbesteck bewehrte Männchen ist das Maskottchen der vor 20 Jahren gegründeten Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur".
Nick Mangafas

Die Armutsgrenze in Österreich liegt aktuell bei 1328 Euro monatlich. Mit diesem Betrag die anfallenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten, scheint angesichts gestiegener Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise kaum möglich. Ein Konzert- oder Museumsbesuch ist da schon gar nicht drin.

Seit zwanzig Jahren steht die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" für die Bedürfnisse armutsbetroffener Menschen ein. Aktuell werden österreichweit über 65.000 Kulturpässe ausgestellt, die es Menschen barrierefrei ermöglichen sollen, am Kulturleben teilzuhaben.

Hunger auf Kunst und Kultur
Die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" ermöglicht sozial benachteiligten Menschen den Zugang zu Kulturinstitutionen.
NIck Mangafas

"Hunger auf Kunst und Kultur" umfasst aber mehr als nur das Ausstellen solcher Pässe, wie Geschäftsführerin Monika Wagner im Gespräch mit dem STANDARD sagt. Im Lauf der Jahre hat sich die Aktion zu einer wichtigen Vermittlungsstelle zwischen Kulturinstitutionen und diversen temporär ausgeschlossenen Menschengruppen entwickelt.

Denn die finanzielle Barriere ist das eine, aber es gibt weitere Hemmschwellen, die letztlich soziale Ausgrenzung erzeugen. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder jene, die in betreuten Einrichtungen leben, wird der Kulturpass deshalb aktiv angeboten. "Da funktioniert der Pass als soziales Integrationsmittel", sagt Wagner. "Mir war immer wichtig, dass das Projekt weiterentwickelt wird.". So sind aus den Rückmeldungen im Lauf der Jahre immer neue Projekte entstanden – etwa Kulturtransfair, ein jeweils zwischen einer Kulturinstitution und einer sozialen Einrichtung entwickeltes Vorhaben.

Wiener Kuchl

Beispiel dafür wäre die "Wiener Kuchl", eine Zusammenarbeit der Wohnungsloseninitiative mit dem Mak. Dabei werden mit Architektinnen und Designern Küchenmodelle um je 220 Euro entworfen und gebaut – im Geiste von Architekturpionierin Margarete Schütte-Lihotzky. Ein weiteres Beispiel ist die bis heute bestehende Kooperation zwischen dem Mumok und Sucht- und Drogenkoordinationsstellen.

Diese zweigleisige Ausrichtung – also sowohl finanzielle als auch soziale Barrieren zu überwinden – ist auch für Martin Schenk der Kern der Aktion. Er hat "Hunger auf Kunst und Kultur" in Kooperation mit der Armutskonferenz anno 2003 und gemeinsam mit Airan Berg am Schauspielhaus Wien initiiert.

Martin Schenk
Martin Schenk hat die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" 2003 mitinitiiert.
Luiza Puiu

Damals wollte man lediglich das Schauspielhaus unterrepräsentierten Publikumsgruppen öffnen, dann aber ist alles rasch gewachsen. Heute sind 300 Kulturinstitutionen in Wien und weitere 900 in den anderen Bundesländern mit im Boot. Einzig Kärnten hegt seinen eigenen Kulturpass.

Die Aktion trägt dazu bei, soziale Teilhabe zu gewähren und Räume zugänglich zu machen. Denn was stärkt Menschen in Notlagen? "Studien haben ergeben, dass das Kunst- und Kulturangebot in schwierigen Zeiten Menschen stützen kann. Kultur trägt zur Resilienz bei", sagt Schenk. Dabei zu sein stärkt das Selbstbewusstsein. Der Sozialexperte zerpflückt das Bild von Armut, das sich an der, wie er sagt, "unsäglichen Maslowschen Bedürfnispyramide" orientiert.

In dieser ist Kultur als letztnotwendiges Gut gelistet. Deshalb dächten viele: "Was brauchen Oame a Theater? Aber: Menschen leben nicht vom Brot allein, man aberkennt ihnen wichtige Bedürfnisse", sagt Schenk.

Monika Wagner Hunger auf Kunst und Kultur
Monika Wagner ist Geschäftsführerin der Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur"
Nick Mangafas

Sich auszutauschen, soziale Kontakte zu pflegen, sich kulturell auseinanderzusetzen, all das ist insbesondere nach der Pandemie wieder wichtig geworden. Die Nachfrage nach Kulturpässen sei gleich nach den Corona-bedingten Lockdowns stark gestiegen, so Wagner. Durch die Teuerung sei der Kulturpass auch für abstiegsbedrohte Menschen wichtig geworden, sagt Schenk, "um einen letzten Rest an Lebensqualität zu erhalten, denn diese Menschen haben jetzt keine Ressourcen mehr".

Übrigens: Kulturinstitutionen bekommen die an Kulturpassinhaber ausgehändigten Tickets nicht refundiert. Dennoch sind landesweit so gut wie alle subventionierten Häuser dabei. Hier hat sich in puncto Barrierefreiheit in den letzten Jahren viel verbessert – auch das ist ein Verdienst der Aktion.

Waren die Armutszahlen laut Schenk in den vergangenen zwanzig Jahren stabil, so liegen die Daten für 2023 noch nicht vor. Angesichts der Teuerung könnte die Aktion noch wichtiger werden, als sie es bereits ist. (Margarete Affenzeller, 9.11.2023)