Ob sich die zankenden Echsen am Wegrand ihr wildes Liebesleben vor Urzeiten von den Göttern abgeschaut haben? Die archaischen Streithälse haben den Wanderer noch immer nicht bemerkt. Mit aufgeplusterten Kehlsäcken starren sich die beiden Agamen an und stürzen sich dann erneut aufeinander. Zyperns Hardune oder Schleuderschwänze sind trotz ihres respekteinflößenden Äußeren und bisweilen mehr als 30 Zentimeter Länge gänzlich harmlose Miniaturdrachen. Revierverteidigende Männchen gehen jedoch nicht gerade zimperlich miteinander um. Wer sich unter den rivalisierenden Schleuderschwänzen als Stärkerer erweist, hat schließlich die Dame des Begehrens für sich. Ganz wie bei den Echsenmännern führten auf Zypern einst auch heftige Testosteronwallungen bei den griechischen Gottheiten zu einem tragischen Ende.

Das Meer beim Bad der Aphrodite im Westen Zyperns erinnert farblich an die Karibik.
Das Meer beim Bad der Aphrodite im Westen Zyperns erinnert farblich an die Karibik.
Win Schumacher

"Aphrodite war fröhlich unterwegs und hatte gleich mehrere Liebhaber", erzählt Wanderführer Manuel Ioannou. Gerade hat der 38-jährige Deutschzyprer mit seiner Gruppe einen Pinien- und Wacholderwald auf der Akamas-Halbinsel durchquert. Auf den Spuren der jahrtausendealten Weintradition und der bewegten Mythenwelt des antiken Griechenland führt er über die Insel. Der Duft von Thymian und Salbei liegt in der Luft. Ioannou erzählt vom Gott des Feuers, dem eifersüchtigen Hephaistos, von Ares, dem Gott des Krieges, und natürlich vom anmutigen Adonis. Sie allesamt begehrten die Göttin der Liebe und Schönheit.

Allein auf Wanderwegen

"Glaubt man der Überlieferung, trafen sich hier Aphrodite und Adonis", erklärt der in Hamburg geborene und im nahen Polis Chrysochous aufgewachsene Ioannou im kühlen Schatten einer jahrhundertealten Eiche. Der Aphrodite-und-Adonis-Wanderweg verbindet heute die Orte, wo sich die Gottheiten im Akamas-Wald und in versteckten Badegrotten ihrer Leidenschaft hingegeben haben sollen. Als Geburtsort der Aphrodite zog Zypern schon in der Antike Pilger an. Bei Paphos, wo sie einst dem Schaum des Meeres entstiegen sein soll, lag bereits vor Jahrtausenden ihr Heiligtum. Seit 1980 ist es Weltkulturerbe. Anders als in den Ruinen von Paphos hat man die Wanderwege auf der Akamas-Halbinsel und die Welterbestätten im Troodos-Gebirge jedoch oft ganz für sich allein.

Nicht weit von der alten Eiche liegen die von Gestrüpp umwucherten Ruinen eines mittelalterlichen Klosters. Über den Trümmern flattern Schmetterlinge. Eidechsen huschen in schmale Mauerritzen. "Der Ort trägt den Namen von Rigena, einer mythischen Königin, die ihren Ursprung wohl der Aphrodite verdankt", sagt Ioannou. Den ersten christlichen Gemeinden, die dem Neuen Testament zufolge auf eine Missionsreise der Apostel Paulus und Barnabas zurückgehen, war der Kult um die Liebesgöttin ein Gräuel. Folglich wurde im Mittelalter wohl aus der liebeswütigen Aphrodite die züchtige Königin Rigena.

Kirchen mit Scheunendach und Bemalung

Etliche Kirchen stehen in Zypern auf den Fundamenten antiker Tempel und Naturkultstätten. Im Troodos-Gebirge können Wanderer und Wanderinnen einige der elf sogenannten Scheunendachkirchen zu einer Route verknüpfen, die seit 1985 zum Weltkulturerbe der Unesco gehören. Wegen ihrer reichen byzantinischen Wandgemälde werden sie auch als "bemalte Kirchen" bezeichnet.

Das Mosaikdetail
Das Mosaikdetail "Dionysos beim Weingelage mit Nymphe Akme" im Archäologischen Park Paphos.
Win Schumacher

Ioannou führt seine Wandergruppe hinauf auf das Gipfelplateau Moutti tis Sotiras. Von hier oben blickt man weit über das Akamas-Naturschutzgebiet. Die Buchten entlang der zerklüfteten Küste leuchten in fast karibischem Azur und Curaçaoblau. "An den Stränden legen noch immer Meeresschildkröten ihre Eier ab", erklärt Manuel.

Auf Wanderungen in Zypern stößt man bisweilen auf Tierarten, die auf kaum einer anderen Mittelmeerinsel vorkommen. Vogelbegeisterte halten hier nach dem Zypernsteinschmätzer und der Schuppengrasmücke Ausschau. Aufmerksame Besucher entdecken im Akamas-Schutzgebiet auch rare Orchideen und zarte Blüten endemischer Pflanzen. Die roten Adonisröschen sollen heute überall dort blühen, wo das Blut des Adonis einst auf den Boden tropfte, den der eifersüchtige, in einen Eber verwandelte Ares tötete – die weißen Windröschen dort, wo Aphrodite ihre Tränen über ihren wahren Geliebten vergoss.

Ioannou will Wandergruppen nicht nur einen Einblick in die Kultur und Natur seiner Heimatinsel geben. Es ist ihm ein Anliegen, dass Touristen und Touristinnen zu ihrem Erhalt und nicht zur Zerstörung beitragen. Mit Kopfschütteln beobachtet er die Gäste, die für ein paar Stunden mit lärmenden Quads auf der Akamas-Halbinsel auftauchen und bisweilen auch ihren Müll im Schutzgebiet zurücklassen. Auch immer neue Bauprojekte verfolgt er mit Argwohn. "Die Halbinsel wird immer mehr in die Zange genommen, und die Bauunternehmen tricksen", sagt er.

Urlaub abseits politischer Konflikte

"Zypern will weg vom Massentourismus, doch es ist eine mühsame Arbeit, die Leute von einer nachhaltigen Entwicklung zu überzeugen." Bei seinem Studium der Natur- und Umweltwissenschaften an der Universität Hildesheim hat er seine Masterarbeit den Auswirkungen des Wandertourismus auf das Ökosystem des Akamas-Schutzgebiets gewidmet. "Wanderer wollen intakte Natur und benötigen nicht mehr als Ziegenpfade", sagt er, "sie haben damit den geringsten Einfluss auf die Umwelt."

Die meisten Wanderer zieht es neben der Akamas-Halbinsel vor allem in den Paphos-Wald und ins Troodos-Gebirge in der Republik Zypern. Seit 1974 wird der Norden von der Türkei besetzt. Die Insel ist seither in den griechisch-zyprischen Süden und den türkisch-zyprischen Norden geteilt. Die 1983 ausgerufene Türkische Republik Nordzypern wird international bis heute einzig von der Türkei anerkannt. Bislang sind alle Versuche, den Zypernkonflikt zu lösen, gescheitert. EU-Bürger können die heute von UN-Einheiten kontrollierte innerzyprische Demarkationslinie überqueren. Die meisten Touristen landen jedoch in Paphos oder Larnaka und verbringen den Urlaub im Südteil. Vom schwelenden Konflikt bekommen nur wenige etwas mit.

Im Kloster der Panagia Chrysorrogiatissa schenkt der Mönch Efthymios roten Maratheftiko und süßen Commandaria-Dessertwein ein. "Hier wird bereits seit dem zwölften Jahrhundert Wein gekeltert", erzählt der 53-Jährige mit dem langen weißen Rauschebart, "und seither ununterbrochen selbst unter türkischer Herrrschaft." Von 1571 bis 1878 war Zypern Teil des Osmanischen Reichs und der Weinbau stark eingeschränkt. Die Klöster umgingen die Auflagen aber, indem sie sich auf den liturgischen Bedarf für die Eucharistie beriefen. "In Wahrheit waren die Mönche die ersten Alkoholiker", scherzt Georgios Kassianos. Der Präsident der Vereinigung Zyprischer Sommeliers zeigt Gästen gerne ausgewählte Weingüter wie jenes im auf fast 1000 Höhenmetern gelegenen Kloster oder des benachbarten familiengeführten Vouni Panayia.

Zyprische Weinseligkeit

Wanderer und Wanderinnen können hier mit Blick auf die umliegenden Weinberge von Gründer Andreas Kyriakidis gekelterte Weine aus autochthonen Rebsorten wie Maratheftiko, Yiannoudi, Mavro oder Xynisteri probieren. Der einheimische Winzer hat in Florenz Önologie studiert. Aus den Weinbergen seiner Familie ist inzwischen ein florierendes Unternehmen geworden. In Zypern hat in letzter Zeit eine junge Generation die Weingüter ihrer Eltern und Großeltern übernommen. "Einige davon haben in Italien, Griechenland und Kalifornien Önologie studiert", erzählt Kassianos. "Sie wollen die 14 anerkannten zyprischen Weine auch international bekanntmachen."

Im Kloster der Panagia Chrysorrogiatissa philosophiert Mönch Efthymios über zyprischen Wein.
Im Kloster der Panagia Chrysorrogiatissa philosophiert Mönch Efthymios über zyprischen Wein.
Win Schumacher

Zyperns Weine seien an die harsche Sonne gewöhnt. Weil sie längere Trockenperioden ohne Bewässerung besser überdauern als herkömmliche Arten, wird inzwischen auch in Griechenland, Spanien und Portugal mit dem Anbau zyprischer Sorten experimentiert. "Unsere Weine gehören nach denen von Georgien und Armenien wohl zu den ältesten der Welt", sagt Kassianos. Die Geschichte des Weinbaus lässt sich 5.500 Jahre zurückverfolgen.

Zu den schönsten Zeugnissen zyprischer Weinseligkeit gehören Darstellungen in der römischen Villa des Dionysos in Paphos, wo man den Gott de s Weins auf einem Mosaik aus dem zweiten Jahrhundert beim Gelage mit der Nymphe Akme bestaunen kann. Der von zahllosen Künstlern der Antike dargestellte Dionysos-Kult mag seit langem der Geschichte angehören – die Hingabe zum Wein wird auf Zypern jedoch noch immer zelebriert.

Wer einen langen Wandertag in einem der Weingüter oder zahllosen Tavernen ausklingen lässt, bekommt zum Maratheftiko oder Xynisteri Oliven, würzigen Anari- oder gegrillten Halloumi-Käse und typische Meze. Dem hungrigen Wanderer munden Zyperns frisch zubereitete und auf bunten Tellerchen servierte Speisen doppelt gut. Und so viel haben die Götter sie längst gelehrt: Nicht nur den Unsterblichen sind die Wonnen am Wegrand oft die schönsten von allen. (RONDO, Win Schumacher, 24.11.2023)