Wenn ein Blog über Bücher beginnt, braucht es einen sinnvollen Anfang. Der Buchstabe A, Erstling im Alphabet, bietet sich an. A steht auch für Angetter-Pfeiffer, Daniela – ihres Zeichens Gewinnerin des Wissenschaftsbuch 2024 in der Kategorie "Medizin/Biologie". Sie überzeugte mit "Als die Dummheit die Forschung erschlug". Damit nicht genug. Sie hatte auch schon 2022 mit dem Buch "Pandemie sei Dank!" gewonnen. Das dritte A steuert der Verlag, Amalthea, bei. AAA, mit dem Triple gilt es zu gratulieren und näher hinzuschauen.

Heimische Medizingeschichte – über Jahrhunderte ein kalt-warm

Alle haben persönliche Klischeebilder, eigene Erfahrung mit Ärzten und Ärztinnen. Hier romantische Klischees im TV á la Bergdoktor, dort überfüllte Wartezimmer, unerträglich lange Wartezeiten für Arzttermine. Medizin polarisiert. Im historischen Rückblick tauchen große Namen wie Van Swieten, Billroth oder Rokitansky auf. Auch Nobelpreisträger sind zu nennen.

Diesen heißen Themenmix greift Daniela Angetter-Pfeiffer, promovierte Historikerin mit wissenschaftshistorischer Expertise, auf. War sie um die Milleniumswende am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Wien tätig, ist sie seit 2001 an der Akademie der Wissenschaften am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage mit Forschungsfokus Wiener Medizin 1848 bis 1955. Damit beschäftigt sie sich mit den 100 spannendsten Jahren der Medizingeschichte. Neben ihrer wissenschaftlichen Expertise verfügt sie als Notfallsanitäterin beim Roten Kreuz in Schwechat auch über den nötigen Zugang zur Praxis.

Zurück zum Themenmix oder zu "Schatten und Licht in der österreichischen Medizingeschichte", so der Titel der Einleitung zu ihrem neuesten Buch.

Mobbing, Vertreibung, Disziplinar- und Gerichtsverfahren

Die Einleitung liest sich wie ein Summary, eine Zusammenfassung der Highlights, die in den nächsten elf Kapiteln, beginnend mit "Maria Theresias Leib- und Hofärzten" bis hin zu "Verschmähte noble Stars", folgen. Da wird Andreas von Stifft, Leibarzt von Kaiser Franz II. (I.), der Größen wie Joseph Gall (Begründer der Schädellehre) scheitern ließ und auch die Homöopathie verbat zum "Mobbing-Kaiser". Van Swieten musste gegen die verstaubten Theorien der Jesuiten kämpfen und über Lorenz Böhler ist zu erfahren, dass er "sich mehrmals auf illegale Weise Patienten beschaffen [musste], um zu beweisen, dass seine neumodische Technik der Knochenbruchbehandlungen wirksam war" (S. 15).

Altes AKH um 1900
Das alte Allgemeine Krankenhaus (1. Hof) in Wien-Alsergrund, aufgenommen von August Stauda um 1900.
© Wien Museum Onlinesammlung

Natürlich wird auch die Rolle der Frauen, die es in der heimischen Medizingeschichte immer um einiges schwieriger hatten, gebührend gewürdigt. Erst 1903 erhielt Margarete Hilferding-Hönigsberg das erste medizinische Doktorat in Wien und bis 1920 mussten Frauen ledig sein, um in Wiener Krankenhäusern eine Stelle zu bekommen.

Das Zeitfenster vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, der Handlungsraum des Buches, ist eine durchgehend spannende Zeitreise mit Schicksalen, Triumphen und Niederlagen bekannter und auch weniger bekannter Mediziner. Ein Auf und Ab, bunt gemischt mit kaum bekannten Details. Wussten sie, dass der Erfinder des Abklopfens (Perkutieren), Leopold Augenbrugger (1722 bis 1809) nicht nur Freund, sondern auch Trauzeuge von Joseph Haydn war und für ihn sogar Operntexte schrieb? Kein Wunder, dass eine begeisterte Leserschaft, das Buch von der Shortlist des Wissenschaftsbuches auf Platz 1 für 2024 hievte.

Seuchen, Pandemien und deren Erbe

Ihr Vorgängerbuch, "Pandemie sei Dank!" (2021), hat den Untertitel "Was Seuchen in Österreich bewegten", ähnlich lautet auch die Einleitung "Wie Seuchen Österreich bewegten", zu ergänzen wären noch wann und wer. Das Wo ist mit Österreich bereits definiert. Das Wann, der zeitliche Rahmen des Buches, das während der Coronapandemie im September 2021 erschien (zweite Auflage Februar 2022), beginnt im barocken Wien. Bildlich gesprochen mit einer ganzseitigen Abbildung (S. 19) der Pestsäule am Graben im historischen Zentrum Wiens. Unter dem Wer könnte man eine Auflistung von Krankheiten, Seuchen, Epidemien und Pandemien, die keiner haben möchte, anführen. Es beginnt mit dem Schwarzen Tod, der Pest, dann der Cholera, die im 19. Jahrhundert wütete, der Tuberkulose, der Spanischen Grippe bis hin zur Maul- und Klauenseuche und schließlich Corona.

Kaiserbesuch beim Wienfluss
Kaiser Franz I. besucht 1831 die Arbeiten am Cholerakanal beim Wienfluss.
© Wien Museum Onlinesammlung

Es mag makaber klingen, wenn man in Anbetracht der oben genannten Krankheiten, die hunderttausende Opfer forderten, nach dem "Lessons learned" fragt. Doch aus jeder Pandemie zog man auch Lehren. Ein jüngster Benefit, auf den wir nicht mehr verzichten wollen, ist das e-Rezept. Vor der Coronapandemie wäre es undenkbar gewesen, heute ist es so selbstverständlich, wie die 1873 eröffnete Wiener Hochquellenwasserleitung. Nachzulesen ab Seite 159 im Kapitel "Die Cholera und der Bau der I. Hochquellenwasserleitung".

Im 19. Jahrhundert hatte Wien ein Wasserproblem in doppelter Hinsicht, ein Abwasser- und ein Trinkwasserproblem. Überschwemmungen, wie jene vom März 1830, führten zur Verkeimung der Hausbrunnen und zur Ausbreitung von Typhus und Cholera. Der Bau der Cholerakanäle längs des Wienflusses, die Kaiser Franz I. persönlich überwachte, brachte Abhilfe bei der Abwasserproblematik. Die Herleitung des reinen Karstwassers aus den Alpen mit der Hochquellenwasserleitung führte zum Ende der Seuchen.

Ein Blick in den Buchinhalt führt uns zu Ignaz Semmelweis, dem "Retter der Mütter" (S. 126), wie zum Wiener Gesundheitsamt, dessen Etablierung eine Konsequenz der Spanischen Grippe im Jahr 1918 war (S. 204). Bereits damals gab es einen Lockdown. Der Besuch von Kinos, Theatern, Cafés, Restaurants und Pferderennen war untersagt. Fußballspiele fanden vor leeren Tribünen statt – Bilder wie sie noch frisch in unserem Gedächtnis sind, wie wir sie nicht mehr haben wollen.

Fazit: Die Autorin versteht Themen, die uns nahegehen, kompetent und spannend wie einen Krimi zu vermitteln. Bitte mehr von der Medizin(-Geschichte) in der Art! (Thomas Hofmann, 18.3.2024)