Rudern an der alten Donau in der Dämmerung
In Wasserproben aus der Donau bei Wien lassen sich PFAS nachweisen.
Heribert Corn

Die Geschichte der sogenannten Ewigkeitschemikalien in der Donau beginnt in einem unauffälligen Labor. Technische Universität Wien, ein modernes Bürogebäude in Dunkelgrau und Beige im dritten Wiener Bezirk, große Glasfenster, drei Etagen. In einem Labor im zweiten Stock, in dem sich Reagenzgläser und sonstige Behälter mit Wasserproben aneinanderreihen, forscht Ernis Saracevic.

"Es ist ein bisschen so, als würden wir einen Farbtropfen von der Reichsbrücke in die Donau fallen lassen und ihn dann bei der Praterbrücke suchen", erklärt Saracevic, während er im weißen Kittel durch die Räume des langgezogenen Labors führt. Hier, hinter heruntergelassenen Rollläden und unter dem Licht aus Neonröhren von der Decke, untersucht Saracevics Team unzählige Wasserproben auf PFAS, kurz für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, die Chemikerinnen, Politikern und Unternehmen derzeit großes Kopfzerbrechen bereiten. Denn die Chemikalien, die in einigen imprägnierten Regenmänteln stecken, aber auch in beschichtetem Backpapier, Fastfoodverpackung, Windeln, Kosmetika und Feuerlöschschaum, sind wahnsinnig robust. Gleichzeitig gelten verbreitete Formen dieser Chemikalienfamilie als toxisch.

Die Chemikalien sind in unserer Umgebung bereits weitverbreitet, das zeigen etwa Wasserproben aus der Donau. Von dort sind sie fast nicht mehr wegzubekommen und haben schon in winzigen Konzentrationen einen Effekt, wie Saracevic schildert.

Wie viel PFAS befindet sich bereits im Wasser? Das erforscht Ernis Saracevic am Institut für Wassergütewirtschaft der TU Wien.
Alicia Prager

PFAS, die manchmal mit PFC abgekürzt werden, sind sowohl wasser- als auch fettabweisend sowie sehr beständig – und damit außerordentlich praktisch. Die Palette ist enorm. Neben Alltagsprodukten werden sie in Industrieprozessen genutzt, unter anderem zur Dichtung, bei der Herstellung von Halbleitern und für medizinisches Equipment.

Das Problem ist nur, dass die Stoffe nicht dort bleiben. Sie verteilen sich leicht im Wasser und in den Böden und wurden bereits in größeren Mengen in Wildtieren und Fischen bis in die Arktis gefunden. Gelangen sie in den Körper von Lebewesen, lagern sich die Stoffe ab. Das kann langfristig zum Problem werden, zu Krebs führen, Nieren schädigen oder das Risiko von Fehlgeburten erhöhen. Die Ambivalenz der Stoffe – nützlich, aber gesundheitsgefährdend – bildet sich in der Debatte ab, die man derzeit in Brüssel führt: Einige EU-Staaten wollen die Chemikalien komplett verbieten, andere betonen, dass sie dringend gebraucht werden.

Saracevic meint ebenfalls: Die Stoffe lassen sich derzeit schwerlich ersetzen. Für ihn geht es darum, abzuwägen: Wo benötigt man die Substanzen wirklich? Wo können wir auf sie verzichten? Immerhin lassen sie sich später kaum noch aus der Umwelt entfernen. "Auch heute sehen wir bereits, dass der Fluss belastet ist", sagt der Chemiker und zeigt auf einen Monitor, auf dem verschiedenfarbige Linien zu sehen sind: grüne, hellblaue, dunkelblaue, rosafarbene, orange. Jede Linie zeigt einen anderen PFAS-Stoff, und wann immer eine Probe die Substanz enthält, schlagen die Linien nach oben aus. Im bunten Zickzackkurs.

Toxischer Ersatz

Die höchste Konzentration zeigt in den aus der Donau gewonnenen Daten der Stoff "ADONA". Das ist eine Substanz aus der PFAS-Familie, die eigentlich als Ersatzstoff für ähnliche – aber bereits verbotene – PFAS-Substanzen dient. Insgesamt gibt es viele Tausend chemische Verbindungen, die zu der Gruppe zählen. Bisher ist der Einsatz dieser Chemikalien, die in den 1940ern aufkamen, kaum reguliert – mit Ausnahme der beiden Stoffe PFOA und PFOS, die nachweislich schädlich sind. Für diese wurde schnell Ersatz gefunden, etwa in Form von ADONA. "Für einige Ersatzstoffe ist dabei noch nicht endgültig geklärt, wie toxisch sie tatsächlich sind", erklärt Matthias Zessner, der die Arbeitsgruppe an der TU Wien leitet.

Ein Unternehmen, das den Ersatzstoff ADONA in großem Stil produziert und einsetzt, ist Dyneon, ein Tochterunternehmen des US-amerikanischen Konzerns Minnesota Mining and Manufacturing Company, kurz 3M. Dyneon hat einen Standort im Chemiepark Gendorf an der Alz in Bayern. An diesem Zubringerfluss der Donau zeigen die Daten, die dem STANDARD vorliegen, deutlich erhöhte ADONA-Werte im Wasser – wenngleich der Konzern angibt, bereits seit 2015 die weltweit einzige Upcycling-Anlage für Fluorpolymere zu betreiben, die den Wertstoffkreislauf schließen soll.

Das scheint allerdings nur bedingt zu funktionieren. Die Chemikalien sind weiter ins Wasser gelangt.

Die Konzentrationen überstiegen auch in jüngerer Vergangenheit bei PFOA und ADONA 100 und sogar 1.000 Nanogramm pro Liter (ng/l). Es gibt einen Orientierungswert, den die Europäische Kommission in einem Entwurf von 2022 für Oberflächengewässer empfiehlt: Demnach sollten diese im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 4,4 ng/l an PFAS-Verbindungen in Summe – gewichtet nach Toxizität – aufweisen.

Inzwischen kündigte 3M an, bis 2025 komplett aus der PFAS-Produktion auszusteigen – und seinen Standort in Gendorf aufzulassen. An vielen anderen Stellen in Europa wird der Einsatz jedoch fortgesetzt. Die Industrie habe lange Zeit das Risiko der Ewigkeitschemikalien heruntergespielt, bis die Beweislast erdrückend wurde, sagt der Umweltwissenschafter Thilo Hofmann von der Universität Wien. Das ist von anderen Beispielen bekannt, von der Tabakindustrie bis hin zum menschengemachten Klimawandel durch das Verbrennen von Erdöl, Kohle und Co. Laut Hofmann handelt es sich "bei PFAS möglicherweise um eine der größten Vergiftungen der Menschheit, die wir kennen".

Unbekannte Quellen

Beim Untersuchen der Gewässer werde klar, dass PFAS beständig und langfristig über Altlasten ihren Weg in die Umwelt finden, sagt Matthias Zessner. Eine neue Studie brachte dazu beunruhigende Ergebnisse. Das Team der TU untersuchte, woher die PFAS im kommunalen Abwasser stammen. Einen Teil der Kontamination erklärt die Studie durch Emissionen von Haushalten, etwa wenn Kosmetika PFAS enthalten oder wenn sie beim Waschen aus imprägnierter Kleidung gelöst werden. Doch ein weiterer großer Teil der PFAS-Belastung stamme aus diffusen, schwer bestimmbaren Einträgen.

"Das heißt, dass die Umwelt heute schon sehr viel stärker belastet ist, als wir angenommen haben", sagt Zessner. "Selbst wenn wir die Produktion jetzt einstellen, gelangen noch lange große Mengen in unser Wasser."

Aus dem Kanalwasser geht es weiter in die Flüsse. Denn PFAS in Kläranlagen aus dem Wasser zu entfernen ist schwierig und mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden – bisher gibt es keine Auflagen für Kläranlagen, das Wasser von den "ewigen Chemikalien" zu befreien. So enthält das Kanalwasser der Kläranlagen in Österreich auch nach dem Reinigungsprozess noch PFAS, die dann weiter in die Flüsse geschwemmt werden.

"Am besten wäre es, die Stoffe nur für ganz wenige essenzielle Spezialanwendungen zu produzieren", meint der Experte für Wassergüte. "Wir entlassen heute große Mengen von PFAS in die Umwelt, die dort langfristig ein ernsthaftes Problem darstellen werden."

Einen Blick, wie weit das gehen kann, gibt das belgische Dorf Zwijndrecht nahe der Stadt Antwerpen. Dort produziert 3M ebenfalls die langlebigen Chemikalien. Vergangenes Jahr wurden in der Umgebung so hohe PFAS-Werte im Boden gemessen, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern geraten wurde, kein lokales Obst, Gemüse oder Eier aus der Region zu essen. Auch diesen Standort hat 3M angekündigt, schon bald zu schließen.

Über Inhaltsstoffe informieren

Fälle wie dieser lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit in Belgien sowie in den Niederlanden auf das Thema. In anderen europäischen Ländern sind die "forever chemicals" vielen Menschen noch kein Begriff, sagt Sabine Pahl von der Uni Wien. Im Vergleich zu Schadstoffen wie Mikroplastik hinke das Bewusstsein in der Gesellschaft "vielleicht so zehn, zwanzig Jahre hinterher", sagt die Umweltpsychologin. "Ich glaube, PFAS sind das nächste große Thema."

In Österreich gab es Informationskampagnen in Gemeinden, in denen Grundwasser nachweislich belastet ist. Oft – wie im oberösterreichischen Leonding und in Salzburg – hängen Belastungen mit Löschübungen an Flughäfen zusammen. Blutspenden von Menschen aus dem bayerischen Landkreis Altötting, der an der Alz liegt, konnten wegen zu hoher PFAS-Belastung nicht verwendet werden.

"Als Verbraucherinnen können Sie sich vor PFAS de facto nicht schützen." – Umweltwissenschafter Thilo Hofmann, Universität Wien

Bei Produkten, die Ewigkeitschemikalien enthalten, gibt es derzeit keine Kennzeichnungspflicht. Man kann beispielsweise Apps wie "Toxfox" oder "Codecheck" nutzen, um einzusehen, welche Inhaltsstoffe von gescannten Kosmetika oder Haushaltsgeräten problematisch sind. Wenn ein Bestandteil den Begriff "polyfluoro" in seinem Namen trägt, gehört er wahrscheinlich zur PFAS-Familie. Manche Hersteller, etwa von Regenjacken, weisen freiwillig aus, wenn ein Produkt frei von PFAS oder PFC produziert wurde.

Doch das hilft laut Umweltwissenschafter Hofmann nur marginal: "Als Verbraucherinnen können Sie sich vor PFAS de facto nicht schützen." Selbst wenn man im eigenen Zuhause beschichtete Pfannen, Imprägniersprays, Fertigpopcorn und fleckenresistente Sofas eliminiert, scheint das keinen Unterschied zu machen, weil man die Substanzen weiterhin über Essen und Trinken aufnimmt. Das macht PFAS noch schlechter greifbar und vermeidbar als Mikroplastik.

Banner mit Totenkopf und Aufschrift
Protest gegen die Vergiftung: Eine Gruppe der Organisation Extinction Rebellion macht an der Mauer eines Chemiewerks auf die Verschmutzung durch PFAS aufmerksam.
AFP/AFPTV/SYLVAIN THIZY

Deshalb ist Hofmann überzeugt: "Aus meiner Sicht kann man bei PFAS die Verantwortung nicht auf den Konsumenten abwälzen, da muss die Regulierung greifen." Die Lastenverteilung sei unfair, sehr langlebige – also persistente – Verbindungen dürfen nicht in die Umwelt gelangen. Für die meisten Produkte gebe es Ersatzstoffe, diese können jedoch auch problematisch sein. Der Druck steigt, gesetzliche Regelungen gibt es für die Ewigkeitschemikalien bisher aber nur eingeschränkt.

Breite Beschränkung in Arbeit

Langsam kommt aber Bewegung in die Regulierung der umkämpften Stoffe. In der EU laufen derzeit verschiedene Verfahren, die den Einsatz von PFAS auf mehreren Ebenen einschränken. Grenzwerte für Trinkwasser und Lebensmittel gibt es bereits. Doch nun wollen zuständige Behörden aus fünf EU-Staaten – Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Norwegen und Schweden – deutlich weiter gehen: Sie wollen PFAS-Stoffe für viele Verwendungen stark beschränken. Dazu haben die Staaten vor rund einem Jahr einen Vorschlag an die Chemikalienagentur der EU eingereicht. Weltweit wäre das ein erstes Mal.

Aus Sicht der Behörden der fünf Staaten ist eine Beschränkung mit gezielten Ausnahmen der einzige Weg, um zu verhindern, dass eine Substanz schlicht durch eine andere ersetzt wird – genau wie im Fall von PFOA und ADONA im Chemiepark Gendorf.

Auf der anderen Seite halten Kritiker dagegen, ein Ausstieg aus PFAS sei schlicht nicht machbar. Zu essenziell seien die Stoffe in der Herstellung verschiedener wichtiger Produkte, wie medizinischem Equipment, Batterien, Solarpaneelen und Schutzbekleidung für die Feuerwehr. Die Aufregung seitens der Industrie sei jedenfalls groß, schildert Carl Dannenberg von der deutschen Bundesstelle für Chemikalien. "Damit haben wir auch gerechnet. Unser Vorschlag umfasst sehr viele Stoffe." Daher sei es wichtig, jetzt eine maßgeschneiderte Beschränkung mit notwendigen Ausnahmen zu erarbeiten.

Derzeit werden riesige Mengen an PFAS in der EU produziert und eingesetzt. Allein im Jahr 2020 gelangten dabei mindestens 75.000 Tonnen an PFAS-Chemikalien in die Umwelt.

Kein sicheres Level

Derzeit bewertet die Chemikalienagentur der EU (ECHA) den Vorschlag der fünf Staaten. Bis sie ein Ergebnis vorlegen wird, wird es allerdings noch mehrere Monate dauern. Dann geht das Dossier weiter an die EU-Kommission, die je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, ein Verbot vorschlagen könnte.

"Die Welt sieht uns bei diesem Prozess zu", sagt Mercedes Marquez-Camacho, Leiterin des ECHA-Teams für Restriktionen. Auch bei früheren Verboten – etwa im Fall des Einzelstoffs PFOS – war die EU ihrer Zeit deutlich voraus. Die internationale Staatengemeinschaft einigte sich erst zehn Jahre nach der EU, 2008, mit der Stockholm-Konvention auf ein Verbot. Wird Europa nun wieder vorausgehen?

Wo überwiegt der Nutzen von PFAS den Schaden, den die Substanzen in der Umwelt und in Körpern anrichten? Noch gibt es keine Antwort auf diese Frage.
imago stock&people

Die Festlegung sicherer Werte sei wenig sinnvoll, meint Marquez-Camacho. "Es gibt keinen 'sicheren' Wert für PFAS-Stoffe. Wenn die Substanzen erst einmal freigesetzt sind, reichern sie sich in der Umwelt an. Selbst wenn einige PFAS womöglich kaum toxisch sind, werden sie durch die stete Anreicherung zum Risiko." Ähnlich sieht das Thilo Hofmann von der Uni Wien: Wenn man in europäischen Küstenländern täglich ein oder zwei Liter Grundwasser trinkt, könne man künftig aufgrund der PFAS-Konzentration im Regenwasser sogar auf höhere Werte kommen als die vier Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Woche, die die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit als Maximum erlaubt.

Das Definieren solcher Grenzwerte für PFAS ist allerdings sehr schwierig – auch weil die Stoffe schon in extrem kleinen Mengen relevant sind. Analysemethoden stoßen derzeit an ihre Grenzen.

Unermüdlich arbeiten Saracevic und sein Team in ihrem Labor im dritten Bezirk deshalb an einer Verbesserung der PFAS-Bestimmungsmethodik. "Unsere chemischen Analysen sind das Werkzeug für die nächsten wissenschaftlichen und politischen Schritte", ist Saracevic überzeugt. Er will die Chemikalien besser verstehen, Antworten darauf finden, welche Anwendungen unbedingt verboten werden müssten und wo der Nutzen der Alleskönner-Substanzen den Schaden überwiegt. Klar ist: Die Chemikalien, die heute schon von der Donau bis zur Arktis im Wasser, in Böden und in Lebewesen zu finden sind, werden dort auf sehr lange Zeit bleiben. (Alicia Prager, Julia Sica, Robin Kohrs, 22.3.2024)