Bereits vor mehr als 7.000 Jahren befuhren die Menschen das Mittelmeer mit technisch hochentwickelten Booten. Davon zeugen in Italien entdeckte Überreste von fünf prähistorischen Kanus. Die womöglich ältesten Boote des Mittelmeers lassen nur erahnen, wie ausgeprägt das Wissen über die Seefahrt bereits in der Jungsteinzeit gewesen sein muss, berichtet nun ein Forschungsteam im Fachjournal "Plos One".

Die Funde stammen von einer Ausgrabungsstätte unweit der italienischen Hauptstadt Rom. Bei unterwasserarchäologischen Ausgrabungen im inzwischen von Wasser bedeckten neolithischen Dorf La Marmotta am Ufer des Braccianosees (Latium) hat man fünf aus ausgehöhlten Bäumen gefertigte Kanus freigelegt. Dass die Boote konstruiert worden waren, indem man ganze Baumstämme aushöhlte, hatten bereits vorangegangene Untersuchungen gezeigt. Ein Team um Juan Gibaja vom Spanischen Nationalen Forschungsrat in Barcelona hat nun analysiert, wie die Menschen damals beim Bootsbau zu Werke gingen und wann genau sie entstanden sind.

Karte, La Marmotta
Die Boote wurden bei Ausgrabungen im prähistorischen Dorf La Marmotta entdeckt. Die Siedlung lag einst an den Ufern des Braccianosees, heute ist die Stätte von Wasser bedeckt.
Grafik: Gibaja et al.

Unterschiedliche Baumarten

Anhand von Radiocarbondatierung konnten die Forschenden nun nachweisen, dass die Boote zwischen 5700 und 5100 vor Christus hergestellt worden waren. Eines der Boote ist ein großer Einbaum aus einer Eiche, mehr als zehn Meter lang und am Heck gut einen Meter breit. Ein weiterer Einbaum ist aus Erle gefertigt und diente womöglich als Fischerboot.

Die Ausgrabungsstätte befindet sich heute in der Stadt Anguillara Sabazia. Die Analyse der Einbäume hat ergeben, dass sie insgesamt aus vier verschiedenen Baumarten (Pappel, Erle, Eiche, Buche) gebaut wurden. Ein ungewöhnlicher Befund, denn andere vergleichbare Funde hatten gezeigt, dass innerhalb eines Ortes Einbäume meist nur aus einer Holzart geschnitzt wurden. Es zeigte sich auch, dass die Boote mit verhältnismäßig fortschrittlichen Bautechniken wie T-förmigen Querverstärkungen angefertigt worden waren. Vermutlich hat man dafür spezialisiertes Steinwerkzeug eingesetzt, darunter beispielsweise Äxte. Zudem wurde das Innere wohl durch Ausbrennen ausgehöhlt.

Einbaum, Boot, Kanu
Die aus Baumstämmen geschnitzten Boote wurden aus unterschiedlichen Holzarten hergestellt. Das größte unter ihnen war Marmotta 1 (im Bild), ein über zehn Meter langes Kanu.
Foto: Gibaja et al.

Verbindung zum Meer

La Marmotta ist für die Erforschung der historischen Seefahrt ein wichtiger Bezugspunkt: Die Lage am Braccianosee ermöglichte die Fahrt zum Mittelmeer, da der See durch den Fluss Arrone mit dem Tyrrhenischen Meer, also dem Teil des Mittelmeers vor Italiens Westküste, verbunden ist. Die Wissenschafter vermuten, dass in der Nähe von La Marmotta noch weitere Boote erhalten sind, die ein möglicher Ansatzpunkt für künftige Forschung sein könnten.

Besonders an den Funden ist nach Angaben des Team die technische Raffinesse, mit der die Boote gebaut wurden. Bei dem mehr als zehn Meter langen Einbaum fand man etwa eine Reihe von Löchern, die wahrscheinlich zur Befestigung von Seilen, möglicherweise für Segel, dienten. Denkbar sei auch, dass zwei Kanus zu einem Katamaran zusammengefügt wurden.

Der Bau der Boote muss ein detailliertes Verständnis der strukturellen Konstruktion und der Holzeigenschaften sowie gut organisierte Facharbeit erfordert haben, schreiben die Autorinnen und Autoren. Die Einbäume seien die bisher ältesten bekannten im Mittelmeerraum. "Die unterschiedlichen Größen und Formen der Marmotta-Einbäume lassen den Schluss zu, dass sie möglicherweise für Flüsse als auch für die Seefahrt genutzt wurden", schreiben Fachleute.

Einbaum, Boot, Kanu
Auch das Kanu Marmotta 3 (im Bild) hatte mit einer Länge von 8,35 Metern eindrucksvolle Ausmaße.
Foto: Gibaja et al.

Die Küsten entlang

Im Neolithikum begannen sich bäuerliche Gemeinschaften in Europa und Nordafrika auszubreiten. Die Anfänge im Nahen Osten werden rund um 10.000 v. Chr. datiert, Gemeinschaften aus dieser Region besiedelten um etwa 7500 v. Chr. den gesamten Mittelmeerraum. Es liege auf der Hand, dass im Zuge dessen das Mittelmeer für Reisen und Transporte genutzt wurde, hätten Boote doch ein schnelles Fortkommen und einen raschen Austausch von Waren ermöglicht, erklärte Gibaja. Vermutlich hätten die Menschen damals hauptsächlich kurze Fahrten entlang der Küstenlinie unternommen.

Wie seetauglich die entdeckten Kanus tatsächlich gewesen sein könnten, belegen auch experimentelle Fahrten mit Rekonstruktionen solcher Boote: Ein Teams fuhr bereits Ende der 1990er-Jahre mit einem Nachbau, das mit Segeln ausgerüstet worden war, 1.800 Kilometer von Italien bis zur Südküste Portugals. Einer weiteren Gruppe gelang es mit Rudern und ohne seefahrerisches Vorwissen, 50 Kilometer pro Tag zurückzulegen. (red, APA, 21.3.2024)