Obwohl die Regeln, nach denen die Planeten und Sterne auf ihrem Bahnen umeinander kreisen, weitgehend bekannt sind, lässt sich ihr Verhalten selbst mittelfristig kaum vorhersagen. Durch die komplexe Dynamik solcher Systeme kann es immer wieder zu Instabilitäten kommen, die letztlich dazu führen, dass einzelne Objekte ins All hinausgeschleudert werden oder in den Wirtsstern stürzen.

Das sogenannte Dreikörperproblem beschäftigt Fachleute seit Jahrhunderten. Ein Hindernis für das Verständnis des Problems war bisher, dass wir immer noch relativ wenig darüber wissen, wie häufig solche katastrophalen Instabilitäten auftreten. In einer neuen Studie, die nun im Fachjournal "Nature" erschienen ist, konnte ein Team um Fan Liu von der Monash University in Melbourne (Australien) etwas Licht in die Angelegenheit bringen.

Doppelsternsystem, Exoplanet wird verschlungen
Ein erdähnlicher Felsplanet wird von einem Stern eines Zwillingssystems verschlungen. Derartige Szenen dürften sich häufiger abspielen als ursprünglich angenommen.
Illustr.: intouchable/OPENVERSE

Zwillinge mit Unterschieden

Bei einer Untersuchung von 91 erdnahen Doppelsternen fanden die Forschenden heraus, dass im Schnitt eines von einem Dutzend Sternpaaren einen Planeten verschlungen haben könnte, wahrscheinlich, weil der Planet in seiner Umlaufbahn "wackelte" und in den Stern stürzte. Hinweise darauf lieferten Analysen ihrer Zusammensetzung: Trotz ihrer gemeinsamen Geburt aus einer Gaswolke zeigen diese Paare auffällige Unterschiede in ihrer chemischen Komposition. Diese lassen sich nur durch eine solche kosmische Mahlzeit erklären.

Astronominnen und Astronomen haben schon bei vielen Sternen Anzeichen einer "Verschmutzung" durch Trümmer von Planeten oder Asteroiden entdeckt. Die Atmosphäre der Sterne zeigt in solchen Fällen eine deutliche Anreicherung mit schweren Elementen, wie sie in Gesteinsplaneten, aber nicht in normalen Sternen vorkommen. Wie häufig Sterne einen ihrer Planeten verschlingen, war jedoch bisher unklar.

Gemeinsame Geburt

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, haben Liu und seine Kolleginnen und Kollegen nach Sternenpaaren gesucht, die aus derselben Gaswolke entstanden sind. Mithilfe des europäischen Astronomiesatelliten Gaia konnten die Forschenden 91 Paare identifizieren, deren Abstand und deren Bewegung durchs All eine gemeinsame Geburt verrät – es handelt sich also um Sternenzwillinge, die ursprünglich die gleiche chemische Zusammensetzung besessen haben müssen.

Doch wie weitere, sehr genaue Beobachtungen mit mehreren Großteleskopen auf der Erde zeigen, weisen acht Prozent dieser Paare deutliche Unterschiede in der Häufigkeit schwerer Elemente in ihren Atmosphären auf. Einer der beiden Sterne muss also, so folgern die Wissenschafter, vor nicht allzu langer Zeit einen Planeten verschlungen haben.

Störungen von außen

Computersimulationen der Entstehung von Planeten um junge Sterne zeigen, dass solche Katastrophen in den ersten hundert Millionen Jahren nach der Geburt eines Planetensystems keine Seltenheit sind. "Doch solche frühen Ereignisse sollten nach mehreren Milliarden Jahren nicht mehr nachweisbar sein", betonte Liu. Denn die schweren Elemente sinken in das Innere des Stern hinein. Bei den von dem Team untersuchten Sternen handelt es sich jedoch ausschließlich um entwickelte Sterne ähnlich unserer Sonne in ihrer normalen Lebensphase.

"Wir sehen also vermutlich die Spuren späterer Ereignisse", so die Forscher weiter, "ausgelöst beispielsweise durch Störungen von außen – etwa einen weiteren, nahe vorüberziehenden Stern oder einen in das innere System eindringenden großen Gasplaneten." Solche Störungen können die Bahnen der inneren Planeten aus dem Gleichgewicht bringen.

Keine Angst!

Nähert sich dadurch einer der Planeten zu sehr seinem Zentralstern an, wird er durch dessen Anziehungskraft zerrissen, und seine Trümmer fallen in den Stern. Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass solche kosmischen Mahlzeiten häufiger vorkommen als bisher angenommen. Das könnte bedeuten, dass sie eine wichtige Rolle bei der späten Entwicklung von Planetensystemen spielen.

Die Studie bedeutet freilich nicht, dass derartige Instabilitäten in überblickbaren Zeiträumen in unserem eigenen Sonnensystem zu erwarten sind. Trotz der ungewöhnlich hohen Zahl an Planetenverschlingern, die sie festgestellt haben, treten die ursächlichen Instabilitäten letztlich nur bei einer Minderheit der Systeme auf, so Liu. (tberg, red, APA, 21.3.2024)