Das Carven auf einer Kante ist ein besonderer Genuss, den sich viele nicht gönnen, lieber auf Skier zurückgreifen. Claudia Riegler (Bild) aber lässt auch mit 50 noch nicht locker und erwägt auch noch 2026 bei Olympia in Mailand/Cortina mitzumischen.
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Es ist schon verwunderlich: Warum fristet eigentlich ein faszinierender Sport wie das Snowboarden ein derartiges Nischendasein? Von Skifahrern werden die Artisten auf einer Kante nicht selten belächelt, auch gerne gehänselt oder gar wüst beschimpft. Dennoch lassen sich Wintersportexoten, die etwa auf Pisten carven, in Funparks herumtollen oder im freien Gelände nach geeigneten Jumps suchen, zum Ärger mancher Skifahrer nicht vergrämen. Übrigens auch nicht jene zwei Eigenbrötler, die in der Sportredaktion des STANDARD sitzen.

Während sich manche nicht zuletzt durch die zweifachen Big-Air-Olympiasiegerin Anna Gasser motiviert fühlen, sich im Freestylebereich zu versuchen, sind Alpin- oder Raceboarder trotz zahlreicher österreichischer Erfolge im Weltcup eine Minderheit. Im Verleih werden ausschließlich Freestyleboards angeboten. Im Handel gibt es Alpinboards kaum mehr.

Anna Gasser verhalf dem Snowboardsport zu mehr Popularität.
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Christian Galler ist seit 22 Jahren beim ÖSV bemüht, den Sport besser zu positionieren. "Es ist ein lässiger, dynamischer Sport, der Können im koordinativen Sinn verlangt", sagt der Sportliche Leiter Snowboard bei Ski Austria. "Wer einmal auf einer Kante gefahren ist, weiß, wie geil das Gefühl ist."

Via TV wird ein Cab Double Cork 1260 (dreieinhalb Drehungen um die eigene Achse während eines Doppelsaltos) spektakulär in die Wohnzimmer geliefert, bei Parallelrennen mit nahezu identen Rhythmen auf nicht abwechslungsreichen Hängen gelingt das weit weniger gut. "Leider kommt der Rennsport im Fernsehen nicht wie gewünscht rüber. Mit mehr Kameras und Drohnen kann man den Sport aber besser präsentieren", sagt Galler. Es gebe zudem Bestrebungen, die Kurse variantenreicher zu setzen und das Gelände entsprechend zu nützen.

Einwandfreie Werbung

Freilich fehle es auch an entsprechendem Marketing. Galler: "Wir wehren uns mit allen Mitteln, versuchen, mit guten Ergebnissen sichtbar zu bleiben. Erfolge sind beste Werbung." Das allein scheint aber nicht zu fruchten. Allein in der am Sonntag abgelaufenen Weltcupsaison gab es in den Disziplinen Parallel, Cross und Freestyle 39 Podestplatzierungen, davon zwölf Siege. Werbung ohne Ende, wenn man so will. Aber: "Der Snowboardsport schafft es trotz der sehr guten Erfolge nicht in die gewünschte Richtung. Aber ja, gut Ding braucht Weile", sagt der mit Geduld gesegnete Sportwissenschafter Galler.

Parallelrennen (im Bild links: Benjamin Karl) sind nicht unspannend, aber in der aktuellen Form auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.
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Schaut man sich die Sieger- und Siegerinnenlisten an, fällt auf, dass ältere Semester hervorstechen. Olympiasieger Benjamin Karl (38) holte mit drei Saisonsiegen zum bereits vierten Mal die Kristallkugel für den Parallelweltcup. Weltmeister Andreas Prommegger (43) avancierte im Februar in Krynica/Polen mit seinem gesamt 23. Erfolg zum ältesten Weltcupsieger, indem er sich im Finale gegen den ebenso alten Italiener Roland Fischnaller durchsetzte. Galler: „So lang du in deinem Tun eine Freude hast und was gewinnst, so lange taugt es dir."

Somit sollte etwa auch mit Sabine Schöffmann (31/Siegerin auf der Simonhöhe in Kärnten), Arvid Auner (27/Sieger in Krynica), Anna Gasser (32/Siegerin beim Big Air in Peking) und Olympiasieger Alessandro Hämmerle (30/drei Saisonsiege im Cross, zwei davon Mitte März im Montafon) weiter zu rechnen sein.

Dass viele auch in höherem Alter noch Parallelrennen bestreiten, liege eher nicht an den Verdienstmöglichkeiten, viel mehr am "sehr stimmigen Teamgefüge". Zudem sei Routine im Parallelsport "extrem wichtig". Bestes Beispiel: Claudia Riegler, Weltmeisterin von 2015. "Sie gehört zu den fittesten, arbeitet akribisch an ihrem Körper, hat mit 50 ihren besten Ergometriewert getreten."

Eine Siegprämie liegt in etwa bei 14.000 Euro. Heißt: wer nichts reißt, macht keine großen Sprünge. Galler: "Die Topläufer sind hinsichtlich Verdienst wahrscheinlich über Normalsterbliche, die jeden Tag arbeiten gehen, zu stellen, aber an Skifahrer kommen sie nicht heran." Viele andere seien als Polizei- oder Bundesheersportler zumindest abgesichert. "Würde das nicht sein, könnten wir definitiv zusperren", sagt Galler.

Galler: "Wir sind im ÖSV eher eine Ergänzungsabteilung, die aber richtig gut funktioniert."
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Mit der Überlegung, Parallelrennen im Rahmen der Hahnenkammrennen am Zielhang der Streif auszutragen, komme man nicht weiter. "Mit einer Kante ist es auf dem stark vereisten Grund schwer. Wir brauchen eine harte, griffige Piste." Eine Rückkehr zu früher versuchten Formaten ist unwahrscheinlich. Die in den Anfangsjahren ausgetragenen Super-G wurden jäh wieder abgeschafft. "Wenn du da einen Verschneider hast, dann fliegst du richtig ab." Rennen mit vielen gleichzeitig losfahrenden Boardern (sogenannte Infernos) wären zwar spektakulär, wegen der erhöhten Kollisionsgefahr aber zu gefährlich. Immerhin hat sich daraus der Crossbewerb mit vier gleichzeitig startenden Boarderinnen oder Boardern als abgespeckte Version entwickelt.

Sonnenkopf Snowboard Inferno
Frejn's Inferno 2004, Snowboard Inferno, Chinese Downhill, Bernhard Dietrich, Sonnenkopf
bendie74

Naive Geister mögen in den späten 1980er-Jahren gedacht haben, dass sich der Snowboardsport allein schon wegen des Carvingerlebnisses zu einem ernsten Konkurrenten des Skisports entwickeln werde. Doch die Skiindustrie hat damals prompt reagiert und ab 1990 die Carvingskier mit durchschlagendem Erfolg auf dem Markt etabliert. Mit zwei Kanten ist freilich leichter schwingen und auch abzubremsen. Zudem will, oder wollte es die Tradition hierzulande, dass man am besten schon als Kleinkind auf zwei Bretteln stehen und talwärts fahren können muss.

Schlechte Voraussetzungen

Dazu kommen gesellschaftliche Veränderungen. "Das Problem beginnt schon beim Schulsport", sagt Galler. "Die tägliche Turnstunde wäre wichtig, um Leute überhaupt für den Sport begeistern zu können." Zudem fehle es an Trainerpersonal und oft auch an der Unterstützung der Eltern. "Es ist ein Konglomerat aus verschiedenen Sachen."

Die Raceboarder kommen laut Galler hauptsächlich aus Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark. In Tirol und Vorarlberg etwa würden eher die Crosser und Freestyler dominieren. Grundsätzliches Problem: "Wir schaffen es nicht, in jedem Bundesland drei Disziplinengruppen anzubieten, weil wir einfach kein Personal haben." Es gehe darum, Leute vom Handy wegzulocken, zu motivieren und Systeme zu schaffen, damit man überhaupt Jugendsport anbieten könne. Dennoch müsse man sich zumindest vorerst keine Sorgen machen. Galler: "Wir haben ein paar lässige Zentren, es kommen immer wieder welche nach."

Kinderprojekt in Radstadt

Galler hat in Radstadt ein Kinderprojekt gestartet, hat Leute gefunden, die sich um das Coaching und die Betreuung der Kinder kümmern, aber "die freiwillige Arbeit entspricht nicht unbedingt dem Zeitgeist." Zudem bekam er den Gegenwind vom dortigen Skiklub zu spüren. "Es ist schwierig, aber ich nehme ja niemandem wen weg. Es geht darum, dass man die Kinder motiviert, hinauszugehen. Mit der Langlauf-, der Ski- und der Snowboardsektion sind die Kinder im Winter versorgt. Jeder soll tun dürfen, was er will."

Grundsätzlich fehle es auch an Sichtbarkeit in den Printmedien und im TV. "Wir müssen um Sendezeit kämpfen", sagt Galler. Diesbezüglich hofft er auch auf den neuen ÖSV-Sportdirektor Mario Stecher und einen Schritt, "der in der ehemaligen Strukturierung unter Peter Schröcksnadel nicht möglich war. Wir sind im ÖSV eher eine Ergänzungsabteilung, die aber trotzdem richtig gut funktioniert." (Thomas Hirner, 25.3.2024)