Einsatzkräfte in den Ruinen der Crocus City Hall am Tag nach dem Anschlag, den die IS-Miliz für sich reklamiert hat.
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Die Crocus City Hall in Krasnogorsk am Stadtrand von Moskau am Tag danach: Mehr als 130 Tote und 145 Verletzte ist die bisherige Bilanz des Terroranschlages von Freitagnacht. Inzwischen hat die Spurensicherung mit der Arbeit begonnen. Säckeweise sammelten die Ermittler die Hülsen verschossener Patronen ein. Auf einem Video, veröffentlicht vom staatlichen Ermittlungskomitee Russlands, sind eine Kalaschnikow-Maschinenpistole und Munitionsgurte zu sehen. Die Opfer des Anschlags seien bis zum Samstagmorgen alle aus dem Gebäude gebracht worden, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass.

Was aber sind die Hintergründe des Terroranschlages kurz nach den Präsidentschaftswahlen in Russland? Mehrere Unbekannte hätten die Crocus City Hall kurz vor einem Konzert der Rockgruppe Piknik gestürmt und das Feuer eröffnet, teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft mit. Details nannte das Onlinemedium RBC unter Berufung auf eine Quelle in den Sicherheitsbehörden. Man gehe davon aus, dass die Terroristen erfahrene Kämpfer waren. "Es ist offensichtlich, dass die Angreifer eine Schussausbildung hatten: Sie feuerten einzelne Schüsse oder kurze Salven, während sie sich professionell bewegten", heißt es auf RBC.

In der beliebten Konzerthalle hätte am Freitagabend die Band Picnic auftreten sollen.
EPA/RUSSIAN INVESTIGATIVE COMMIT

Den Anschlag reklamierte die Terrormiliz "Islamischer Staat" für sich. Fachleute gehen davon aus, dass zumindest das Bekennerschreiben echt ist. Nach russischen Angaben wurden bisher elf Verdächtige festgenommen. Die Geheimdienste in der Region Brjansk, in der Nähe der Grenze zur Ukraine und zu Belarus, haben wohl vier Terroristen festgenommen, die am Anschlag beteiligt gewesen sein sollen. Gemäß Berichten im Netz planten die Terroristen, die russisch-ukrainische Grenze zu überqueren und hatten möglicherweise Kontakte auf der ukrainischen Seite. Das ukrainische Außenministerium wies den Verdacht einer ukrainischen Verwicklung zurück. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.

Mehrere Festnahmen

Einer der Verdächtigen ist namentlich bekannt. Der 19-jährige Dushanbe Muhammad F. wurde bei einem Schusswechsel in der Region Brjansk verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Gegen vier Uhr Früh am Samstag sei ein zweiter Verdächtiger gefunden und festgenommen worden. In seinem Fahrzeug fanden die Behörden angeblich eine Pistole und Pässe von tadschikischen Bürgern. Prompt äußerte sich das Außenministerium Tadschikistans, machte "auf die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Behandlung bei der Verbreitung von Informationen über die Beteiligung von tadschikischen Bürgern" aufmerksam.

Sonntag, der 24. März, wurde in Russland zum nationalen Trauertag erklärt, so Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Ansprache. Es sei ein barbarischer Terrorakt, "dessen Opfer Dutzende friedliche, unschuldige Menschen, unsere Landsleute, darunter Kinder, Jugendliche und Frauen, waren." Für Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheitsrats, "ist das begangene Verbrechen eine weitere Bestätigung dafür, dass der Terrorismus eine erhebliche Sicherheitsbedrohung darstellt." Westliche Botschaften hatten ohne Angaben von Quellen zuletzt vor Terroranschlägen in Moskau gewarnt.

Kontrollen verstärkt

Islamistische Terroristen müssen nicht unbedingt aus dem Ausland kommen. 2002 hatten tschetschenische Bewaffnete 850 Menschen in einem Musical-Theater in ihre Gewalt gebracht. Die Terroristen wurden erschossen. 135 Geiseln wurden getötet. Mehr als 10.000 Tschetschenen flüchteten während der Tschetschenien-Kriege ins benachbarte Georgien, sie leben heute im Pankissi-Tal, einem Rückzugsort für radikale Kämpfer und Terroristen. US-amerikanische Anti-Terror-Einheiten nahmen dort mutmaßliche Al-Kaida-Kämpfer fest. Angeblich stammte auch Omar al-Shishani, ein früherer Anführer des IS, aus dem Pankissi-Tal. Die USA hatten auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt. Nach unbestätigten Berichten starb er im Juli 2016.

Die Sicherheitsvorkehrungen wurden in Moskau nach dem Anschlag vom Freitagabend verschärft.
AFP/TATYANA MAKEYEVA

Terrorangst, nicht nur in Moskau. Viele Russinnen und Russen erinnern sich mit Schrecken an die Banden- und Clan-Kriege auf den Straßen der russischen Hauptstadt in den 90er-Jahren. An Schießereien, an Bombenanschläge. Nun scheint der Terror zurück. Zumindest an den Moskauer Metro-Stationen wird jetzt verschärft kontrolliert. (Jo Angerer aus Moskau, 23.3.2024)