Die türkische Antiterrorpolizei hat am Dienstag bei Razzien in insgesamt 30 Städten des Landes 147 Personen festgenommen, die im Verdacht stehen, zum "Islamischen Staat" (IS) zu gehören oder mit der terroristischen Jihadisten-Organisation zusammenzuarbeiten. Die Festnahmen erfolgten, nachdem bekannt geworden war, dass mindestens zwei der IS-Täter von Moskau sich zuvor in der Türkei aufgehalten haben sollen. Einer der beiden ist ein tadschikischer Staatsbürger.

Istanbuler Flughafen Sabiha Gökçen
Mehrere mutmaßliche Moskau-Attentäter bzw. deren Helfer sollen aus Istanbul nach Moskau geflogen sein.
REUTERS/UMIT BEKTAS

Türkische Medien berichteten am Dienstag, dass sich dieser Mann in den Tagen vor dem Attentat auf die Konzerthalle bei Moskau zuvor zunächst in einem Hotel im Zentrum Istanbuls aufgehalten habe, später dann sogar eine Wohnung im Außenbezirk Başakşehir gemietet haben soll. Der Mann sei dann am 4. März gemeinsam mit einem weiteren Tadschiken, der vermutlich ebenfalls zu den Attentätern zählt, vom Istanbuler Flughafen Sabiha Gökçen nach Moskau geflogen.

Russische Sicherheitsbehörden sollen nach türkischen Medienangaben seit dem Attentat bei Moskau intensiv mit ihren Kollegen in der Türkei konferiert haben, nachdem der IS-Ableger IS-K bzw. IS-Khorasan noch in der Attentatsnacht den Anschlag für sich reklamiert hatte.

Türkei als Rückzugsgebiet?

Offenbar ist bei den türkischen Sicherheitsbehörden seit längerem bekannt, dass der zentralasiatische IS-K in der Türkei ein Rückzugsgebiet hat. Immer wieder hat es deshalb in den vergangenen Monaten Festnahmen mutmaßlicher Jihadisten gegeben. Nach Angaben des Innenministeriums in Ankara sind seit dem 1. Juni 2023 insgesamt 2.919 Personen unter dem Verdacht, zum IS zu gehören oder dem IS nahezustehen, in der Türkei festgenommen worden.

In einer Anklageschrift der Istanbuler Staatsanwaltschaft, aus der türkische Medien am Dienstag zitierten, wird einigen der Festgenommenen vorgeworfen, sie würden in der Türkei Personal für den IS-K rekrutieren, um dann anschließend Attentäter über den Iran nach Afghanistan zu schicken. Die potenziellen Attentäter, die entweder aus der Türkei oder aus Zentralasien stammen würden, bekämen in der Türkei gefälschte Pässe, mit denen sie dann als vermeintliche Afghanen über den Iran zu ihren Anschlagszielen in Afghanistan reisen würden.

Vorher würden sie in der Türkei in der Anwendung korrekter afghanischer Dialekte trainiert. Die Jihadisten können dabei offenbar auf Strukturen zurückgreifen, die seit dem Syrien-Krieg existieren, in dem die Türkei einige solche Gruppen, die gegen den syrischen Diktator Bashar al-Assad kämpfen, unterstützt hat. Passfälscher säßen deshalb hauptsächlich in der Grenzregion zu Syrien in Hatay und Gaziantep.

Möglich, dass diese Informationen aus der Türkei mit dazu geführt haben, dass am Montagabend auch der russische Präsident Wladimir Putin verkündete, dass der Anschlag mit insgesamt 139 Todesopfern tatsächlich von Jihadisten ausgeführt wurde. Anhänger des IS-K werden mittlerweile auch für Anschläge oder Anschlagsversuche in Europa verantwortlich gemacht. Vor allem Frankreich sieht sich massiv bedroht und hat schon in der Nacht zum Montag die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. In Deutschland wurden zuletzt zwei Männer festgenommen, die einen Anschlag in Schweden vorbereitet haben sollen, weil dort immer wieder Koran-Verbrennungen registriert wurden. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 26.3.2024)