Abtreibungsbefürworterinnen protestieren gegen die Entscheidung.
AFP/CHANDAN KHANNA

Es gibt nicht viel, über das sich die Politikberater in den polarisierten Vereinigten Staaten einig sind. Aber dass die Präsidentschaftswahl im November in den sieben Swing-States Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin entschieden wird, galt in der Branche bislang als Binsenweisheit. Am Dienstag aber überraschte Julie Chávez Rodríguez, die Managerin der Biden-Kampagne, mit einer mutigen Aussage: "Es gibt für uns viele Wege zur Mehrheit im Wahlleutekollegium. Dabei spielt Florida definitiv eine Rolle."

"Florida ist für Präsident Biden gewinnbar", hatte Chávez Rodríguez schon zuvor in einem Memo proklamiert. Angesichts des zunehmenden Rechtsrucks des "Sunshine State", dessen Parlament und Regierung komplett von den Republikanern beherrscht sind und dessen Bevölkerung 2016 wie 2020 mehrheitlich für Donald Trump stimmte, klingt die Behauptung durchaus kühn. Doch die Parteistrategen der Demokraten meinen es ernst: Eilig trommelten sie am Dienstag eine telefonische Pressekonferenz zusammen und schalteten in Florida den ersten Werbespot.

Gerichtsentscheid

Auslöser des plötzlichen Optimismus ist ausgerechnet eine Entscheidung des stramm rechten Supreme Court von Florida. Das Obergericht in Tallahassee hat am Montag mit einer Mehrheit von sechs zu eins Stimmen entschieden, dass sich aus der Verfassung des Bundesstaats kein individuelles Recht auf Schwangerschaftsabbruch herleiten lasse, und damit den Weg für ein rigides Verbot freigemacht: Ab dem 1. Mai sind Abtreibungen in Florida nur noch bis zur sechsten Woche zulässig, wenn viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind.

Parallel aber erlaubte das Gericht trotz vehementer Proteste der Republikaner eine Volksabstimmung im November. Deren Ziel ist es, das Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus (in der Regel ist das die 24. Woche) in der Landesverfassung festzuschreiben. Sind die Initiatoren erfolgreich, würde in Florida also eine ähnliche Regelung festgeschrieben, wie sie USA-weit seit 1973 galt und im Sommer 2022 vom Washingtoner Supreme Court gekippt wurde.

Die Gleichzeitigkeit der rigiden Verschärfung und der Volksabstimmung beflügelt die Fantasie der Demokraten, die auf eine starke Mobilisierung hoffen. Umfragen zeigen, dass lediglich ein Drittel der Amerikaner ein sehr weitreichendes oder komplettes Verbot der Abtreibung unterstützt. In den Bundesstaaten Ohio und Michigan waren Bürgerbegehren gegen solche Gesetze erfolgreich. Nachdem in 14 Bundesstaaten die Abtreibung bereits verboten ist und Georgia eine strenge Sechs-Wochen-Regelung beschlossen hat, war Florida bislang der letzte Staat im Südosten der USA, wo Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft ärztliche Hilfe fanden. Rund 82.000 Abtreibungen wurden hier im vergangenen Jahr durchgeführt.

Einschränkung der Frauenrechte

Die Demokraten setzen nun alles daran, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump für die dramatische Einschränkung der Frauenrechte verantwortlich zu machen. "Trump ist der Urheber", sagte Roy Cooper, der demokratische Gouverneur von North Carolina, am Dienstag. "Er hat die rechtsextremen Abgeordneten und Richter von der Leine gelassen." Tatsächlich hat Trump drei ultrakonservative Richter an den Washingtoner Supreme Court bestellt, der dann 2022 das nationale Abtreibungsrecht kippte. Trump brüstete sich damals mit der Entscheidung. "I did it" (Ich habe es getan), sagt er nun gleich zu Beginn des neuen Demokraten-Wahlspots. Hämisch verbreitet die Biden-Kampagne in den Onlinemedien ein Post des Ex-Präsidenten aus dem vergangenen Jahr, in dem er stolz erklärt, ihm sei es gelungen, das Abtreibungsrecht Roe v. Wade "zu killen".

Man darf getrost unterstellen, dass Trumps Feldzug gegen die Abtreibung nicht vordringlich von persönlichen Überzeugungen getrieben wurde. Vielmehr wollte der Politiker seine evangelikalen Wähler mobilisieren. Inzwischen freilich scheint der Wahl-Floridianer die Reaktion zu fürchten. Als Gouverneur Ron DeSantis die Verkürzung der legalen Abtreibungsfrist von 15 auf sechs Wochen unterzeichnete, sprach Trump von einem "furchtbaren Fehler". Zum Urteil des Verfassungsgerichts von Florida hat er sich bislang nicht geäußert.

Das verstärkt das Gefühl der demokratischen Parteistrategen, einen wunden Punkt der Republikaner gefunden zu haben. "Den Frauen in Florida droht praktisch ein komplettes Verbot der Abtreibung", sagt Fentrice Driskell, die demokratische Fraktionschefin im Parlament in Tallahassee. "Das ist eine gewaltige Sache. Natürlich wird das Auswirkungen auf die Wahl haben." (Karl Doemens aus Washington, 3.4.2024)