Oberflächlich betrachtet ist "Wrath: Aeon of Ruin" ein blutiger Shooter auf Basis der "Quake"-Engine.
3D Realms/Fulqrum

Hach, das waren noch Zeiten, als man als PC-Spieler die Shift-Taste benutzte, um langsamer zu gehen. Heutzutage versetzt die Taste ja gemeinhin die Spielfigur in den Laufschritt. Das war früher anders: Da gab es nur Höchstgeschwindigkeit, feine Manöver waren die Ausnahme, und Tempo war König. Zumindest in der Theorie, denn auf vielen Rechnern der Ära von 1994 an aufwärts liefen die neuesten Games ohnehin nicht besonders flüssig.

Doch es war die goldene Zeit der Shooter: "Doom" hat es vorgemacht, "Hexen" ein düsteres Fantasy-Setting hinzugefügt. In "Duke Nukem 3D" wurde die Umgebung erstmals teilweise zerstört, während der Machoheld höchst fragwürdige Sprüche von sich gab. Das alles kulminierte anno 1996 in "Quake". Die Engine führte zum Durchbruch von Grafikkarten, der Soundtrack der Nine Inch Nails sorgte für wummernde, treibende, adrenalingeladene Atmosphäre. "Quake" galt damals als die Spitze des Monsterschnetzlers, John Romero und John Caramack von ID Software hatten sich in die Gaming-Geschichtsbücher geschrieben.

Lässt sich die Faszination von damals wiederholen? Kann ein Shooter die besten Elemente der Spiele von damals in sich vereinen? "Wrath: Aeon of Ruin" ist jetzt aus dem Early Access gekommen, um den Gaming-Urvater nach beinahe drei Jahrzehnten vom Thron zu stoßen. Der Emporkömmling kommt ein wenig zu spät, um den Legenden das Wasser zu reichen. Unterhaltsam ist der Flashback dennoch.

Die "Development Hell"

Die Vorzeichen waren eigentlich hervorragend. Niemand Geringerer als 3D Realms, das Studio von "Duke Nukem 3D", würde als Publisher fungieren, was kann da schon schiefgehen? Leider eine ganze Menge, wie sich herausstellen würde. Aber der Reihe nach: Jeremiah "KillPixel" Fox wollte auf Basis der "Quake"-Engine ein Spiel entwickeln, das die Vorzüge aller Retro-Egoshooter in sich vereinen sollte. Für die Entwicklung von "Wrath: Aeon of Ruin" kündigte er seinen Job und heuerte einen Programmierer an. Später wurde 3D Realms auf ihn aufmerksam, die arbeiteten damals nämlich an einem ganz ähnlichen Projekt, dem soliden Ballerspaß "Ion Fury".

Wrath: Aeon of Ruin - Reveal Trailer | PS4
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Fox stand plötzlich ein professionelles Team zur Seite, doch es häuften sich die Probleme, und das Spiel landete über mehrere Jahre in der Entwicklungshölle. Eigentlich hätte "Wrath: Aeon of Ruin" im Jahr 2019 erscheinen sollen, als Vollpreistitel. Nun, fünf Jahre später, ist es so weit und der Boomer-Shooter hat die Early-Access-Phase verlassen und gilt als fertiggestellt, auch wenn der Publisher jetzt Fulqrum heißt und das Spiel zum Budgetpreis erschienen ist. Damit ist der Shooter der erste große Release auf Basis der "Quake"-Engine seit 19 Jahren.

Der Plot ist relativ rasch erzählt: Man übernimmt die Rolle des Outlanders, der dazu auserkoren wurde, die Wächter der alten Welt zu erschlagen. Die sind nämlich gefallene Engel und böse und so weiter und so fort, aber wegen der aufregenden Story spielt ohnehin niemand einen Retroshooter.

Hier geht es um Adrenalin-geladene temporeiche Kämpfe an der Grenze zur Herzinfarktgefahr (was angesichts des Alters der Zielgruppe wohl gar nicht so unwahrscheinlich ist). Und wow, das flutscht, vor allem auf Displays mit höherer Hertz-Zahl fühlt sich "Wrath: Aeon of Ruin" butterweich an. Natürlich bringt die modifizierte "Quake"-Engine moderne Hardware nicht ins Schwitzen, und alles andere als ein flüssiges Spielgefühl wäre eine böse Überraschung gewesen, aber moderne Shooter dürfen sich gerne ein wenig mehr so anfühlen wie "Wrath: Aeon of Ruin". Diese Geschmeidigkeit ist natürlich der enormen Framerate geschuldet, die erst bei 666 (höhö) begrenzt wird.

Wuchtige Gegnerentsorgung

Die ersten Minuten flitzt man durch ein völlig unnötiges Tutorial. Was für eine Zeitverschwendung für einen Boomer-Shooter, denn besondere Mechaniken darf man von "Wrath: Aeon of Ruin" nicht erwarten. Veteranen wissen, wie man einen Duckjump ausführt, und für den Sprung-Dash mit der Nahkampfklinge hätte eine schnöde Bildschirmeinblendung gereicht. Dafür fühlen sich die ersten Kämpfe gleich einmal wuchtig an: Den ersten Zombies werden flugs mit der Klinge die faulen Gliedmaßen zurechtgestutzt, was ein bisschen an den Klassiker "Blood" erinnert, nur war es damals eben die Heugabel, die als Zombieentsorgungswerkzeug herhalten musste.

Gegen die Zombiehorden gibt es ein effektives Mittel: die Säurekugelschleuder.
3D Realms/Fulqrum/Screenshot DER STANDARD

Natürlich bleibt das Schwert nicht die einzige Möglichkeit, den Gegnerbestand zu dezimieren. Insgesamt stehen neun Waffen zur Auswahl, deren Kreativitätslevel zwischen "Gähn" und "BFG" changiert. Neben einer schwachbrüstigen Pistole, einer Schrotflinte und einem Monsterzähne verschießendem Maschinengewehr warten auch Raketenwerfer, Säurekugelschleuder und eine Railgun darauf, in den Levels gefunden zu werden. Die "BFG", also die beste Waffe im Spiel, ist ein seelenzermalmender Streitkolben. Sehr cool. Jeder der Schießprügel bringt einen alternativen Feuermodus mit, der ein wenig Abwechslung ins Arsenal bringt. Abgedrehte Waffen wie die Schrumpfkanone aus "Duke Nukem 3D" sucht man aber leider vergeblich. Dafür geht das Gunplay völlig in Ordnung: Die Waffen fühlen sich wuchtig an und lassen die Gegner effektvoll in ihre Einzelteile zerspratzen, ganz so, wie das Mitte der 90er-Jahre üblich war.

Ganz schön schwer, die 90er

Auch auf dem Niveau der letzten Dekade des vorigen Jahrtausends ist der Schwierigkeitsgrad von "Wrath: Aeon of Ruin". Auf Mittel sind die Gegnerhorden schon extrem stark und die Munition knapp. Selbst der leichteste Schwierigkeitsgrad ist kein Zuckerschlecken, zumal die Gegner oftmals so platziert sind, dass man sie beim ersten Mal nicht sieht, oder dass sie gleich hinter der Spielfigur spawnen und so garantiert einige Treffer landen können. Fair ist das nicht, aber so ging Gamedesign damals eben. Aber zur Beruhigung: Ganz so schlimm wie in "Doom 3" wird es nie. Ein wenig den Schwierigkeitsgrad nach unten schrauben die Artefakte, die man sogar mitnehmen darf. Über ein Auswahlrad kann man verschiedene Unverwundbarkeits- und Heiltränke mitführen, eine Konzession an moderne Spielergewohnheiten.

So gehört sich das in einem Retro-Shooter: kantige Optik, dafür mehr Blut und Beuschel.
3D Realms/Fulqrum/Screenshot DER STANDARD

Zu einem echten Retro-Shooter-Erlebnis gehören auch die labyrinthartigen Levels, die Suche nach verschiedenfarbigen Schlüsseln und Geheimnissen. Das war vor 30 Jahren schon einigermaßen herausfordernd, die Levels blieben aufgrund der technischen Limitationen durch die Hardware von damals aber meist doch noch einigermaßen überschaubar. Nun gibt es im Jahr 2024 diese technischen Einschränkungen nicht mehr, und die Leveldesigner haben von ihrer neu gewonnenen Freiheit reichlich Gebrauch gemacht. Insgesamt gibt es 18 riesige Levels, wobei es sich bei dreien um Verbindungsstücke zwischen den Sequenzen handelt. Für manche dieser Welten kann man gut eine Stunde oder mehr einplanen. Langweilig werden die verschiedenen Stufen nicht so schnell: Das Leveldesign macht Lust auf Erkundungstouren und verblüfft manchmal mit sehr kreativ versteckten Secrets.

Das Leveldesign kann sich sehen lassen.
3D Realms/Fulqrum/Screenshot DER STANDARD

Ein Speichersystem aus der Hölle

Bis hierhin gab es an "Wrath: Aeon of Ruin" noch wenig zu meckern. Bis jetzt. Denn das Speichersystem muss angesprochen werden, und das erweist sich leider als arge Spielspaßbremse. Um speichern zu dürfen, muss man nämlich einen entsprechenden Verbrauchsgegenstand finden. Möchte man das Spiel nach einer besonders schwierigen Passage abspeichern, hat man besser einen der sogenannten Soul Tethers mit dabei, sonst wird man diese Passage immer und immer wieder spielen müssen, bis man weiterkommt. Zwar kann man die Speicherobjekte zwischen den Levels mitnehmen, aber gerade im späteren Spielverlauf werden die Speichermöglichkeiten zur raren Ressource. Wie es so eine Mechanik in einen Boomer-Shooter schaffen kann, der noch dazu "Quake" zum Vorbild hat, bleibt leider ein Rätsel.

Auch die Gegnervielfalt ist durchaus beachtlich.
3D Realms/Fulqrum/Screenshot DER STANDARD

Ein Rätsel, das Entwickler und Publisher auch noch frecherweise als einzigartiges Feature verkaufen wollen. Offenbar war das Vertrauen in die Popularität dieses einzigartigen Auswuchses dummer Ideen aber doch nicht so groß, weshalb im Optionsmenü zum Release ein unscheinbarer Button für "unendliches Speichern" versteckt wurde, zum Glück.

Wer jetzt auf ein Multiplayer-Deathmatch-Gemetzel wie anno 1997 gewartet hat, der wird mit "Wrath: Aeon of Ruin" keine Freude haben. Der Publisher hat zwar zum Release einen Multiplayermodus angekündigt, von dem ist aber weit und breit nichts zu sehen.

Fazit: Auf den Sale warten

"Wrath: Aeon of Ruin" will das neue "Quake" sein. Und tatsächlich gelingt es dem Spiel, einen Hauch der Faszination von damals zu vermitteln. Man könnte auch Nostalgie dazu sagen. Das Werk von KillPixel ist eine Zeitreise zurück, als taktisches Vorgehen in Spielen noch verpönt war und nur der Adrenalinrausch zählte. Die Frage ist, warum man dann nicht gleich die alten Klassiker wieder spielen sollte. Nun, das Leveldesign ist ohne die technischen Limitierungen von damals ausufernd und außerordentlich gut gelungen. Dem gegenüber stehen eher mittelmäßig interessante Waffen. Eigentlich wollte ich einen Verriss schreiben, bis ich herausgefunden habe, wie man die unsägliche Speichermechanik abschaltet, und siehe da: Auf einmal ist der Spielspaß da.

Das größte Manko ist zweifelsohne der fehlende Multiplayermodus, der zum Release versprochen wurde. Nun es ist ungewiss, ob dieser je nachgeliefert wird. Dementsprechend scheint auch der Preis von 25 Euro zu hoch. Tipp: Um einen Zehner im Sale abstauben, denn für einige vergnügliche Stunden Retro-Unterhaltung im Singleplayer reicht es bei "Wrath: Aeon of Ruin", auch wenn es sich anfühlt, als käme das Spiel 25 Jahre zu spät. Aber auch das scheint Teil des Konzepts zu sein. (Peter Zellinger, 6.4.2024)