Mies gelaunt wegen der Arbeitsbedingungen: die drei Schauspielenden Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkmez.
Mies gelaunt wegen der Arbeitsbedingungen: die drei Schauspielenden Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkmez.
Bettina Frenzel

Angstschweiß? Lag bei der Premiere keiner in der Luft. Die Gemeinten waren eben nicht anwesend. Dafür gab es viel wissendes Lachen bei der Uraufführung von Nestbeschmutzung im rappelvollen Wiener Kosmos-Theater. Konzipiert und getextet vom Kollektiv Institut für Medien, Politik & Theater basierend auf Recherchen zu Machtmissbrauch und Übergriffen im heimischen Kulturbetrieb. Zuletzt haben derer einige Aufmerksamkeit gefordert. Dieser Schwere begegnet man mit viel Leichtigkeit an der Oberfläche.

In schreiend bunten Anzügen (Camilla Hägebarth) formieren sich die drei Darsteller etwa zum Kult um eine aus ihrem Inneren leuchtende Kiste. Ironie on: Herausgezogen werden Masken, und zu Musik aus dem Märchenland stimmt man salbungsvoll einen Eid auf das Schauspiel an – inspiriert von Max Reinhardts "seligstem Schlupfwinkel". Natürlich ist dem nicht (mehr) so.

Die Stärke der satirisch getönten Inszenierung liegt darin, dass sie keine Betroffenheit ausstellt, sondern diese im Publikum der außen bunten, innen traurigen Szenen erst erzeugt. Erster Hauptschauplatz ist die wummernde Party nach einer Preisverleihung. Der Plausch dort wird zum Bekenntnisaustausch: Hat man dieses Gerücht über jenen gehört? Ja, klar, aber es gibt so viele Gerüchte! Wird man trotzdem vorsprechen? Ja, schon. Im Best-of von Satzbausteinen zur Debatte darf auch nicht fehlen: Was wirklich zählt, ist die Qualität! So richtig famos verhagelt aber Birgit Stöger als alte Häsin den jungen Kollegen die Laune: Dauernd umziehen, mies bezahlt werden, und jetzt brechen auch noch frustrationsbedingt Krankheiten aus – wie sie an ihrem Sektglas nippt: Sie hat es satt.

Opfer oder Kampagnenanführer

Galoppierend lösen Situationen einander eineinviertel Stunden lang ab: Berichte von Zungenküssen im Taxi vom Chefdramaturgen. Eine herablassende Castingbesprechung zweier Leitungspersonen. Mit flammenden Worten, aber ohne Überzeugung wird ein Pressestatement getippselt. Der Geniekult, der Enfants terribles will und fördert – alles davon ist auf den Punkt formuliert und gespielt. So platzt Tamara Semzov bei ihrer Preisrede auch der Kragen!

Zahnlose Betriebsräte und unterfinanzierte Beratungsstellen helfen Mervan Ürkmez bei seinem Versuch, sich gegen einen Übergriff zu wehren, nicht weiter. Dies ist der zweite Hauptschauplatz des Abends. Wie er's macht, macht er's verkehrt, erklärt seine Rechtsberatung die Zwickmühle: weil er zu wenig protokolliert hat, als dass es etwas belegen würde, oder so vielen Freunden im Schock davon erzählt hat, dass es nach Kampagne aussehen kann.

Noch bedrückender wird der inhaltlich fokussierte, dabei formal verspielte und deshalb, ohne Pathos, auf voller Linie überzeugende Abend, wenn man sich vor Augen hält, dass alles Dargestellte auch Selbsterlebtes der Darstellenden sein kann. (Michael Wurmitzer, 5.4.2024)