Shockheaded Peter / Theater Scala.
Bettina Frenzel

Wie nennt man ein Stück, bei dem fast alle der Darstellenden sterben? Tragödie! Wenn sich das Publikum trotzdem vor Lachen schüttelt, handelt es sich wahrscheinlich um eine Tragikomödie oder um die sogenannte Junk-Oper Shockheaded Peter, die Donnerstagabend in Wien Premiere feierte.

Für ihr Stück gruben die Band The Tiger Lillies sowie die Autoren Phelim McDermott und Julian Crouch das pädagogisch fragwürdige Bilderbuch von Heinrich Hoffmann wieder aus. Mit verfilztem Haar und schauderhaft langen Fingernägeln geisterte darin der Struwwelpeter als abschreckendes Beispiel durch die Kinderzimmer bürgerlicher Elternhäuser und sollte dem Nachwuchs Moral und Benimm einbläuen.

Eine Horde von Bälgern

Auf der Bühne des Wiener Scala-Theaters wurden die Strafen für ungehorsame Kinder ad absurdum geführt. In seiner Inszenierung beschenkt Regisseur Marcus Ganser ein verzweifeltes Elternpaar (Vater: Bettina Soriat, Mutter: Leopold Dallinger) mit dem Struwwelpeter-Baby und – als dieses nicht gehorsam sein will – mit einer Horde weiterer Bälger. Die finden jedoch allesamt ein verfrühtes Ende und werden unter der roten Couch im XL-Format begraben. Auch sämtliches Equipment ist überdimensioniert, die Schere, durch die Konrad beide Daumen verliert, oder das Zündholz, durch das Paulinchen im Angesicht großköpfiger Katzen ihr Leben lässt. Einen großartigen Job erledigte Anna-Sophie Lienbacher als Kostümdesignerin: Der suppenverweigernde Kaspar erscheint nach mehrtägigem Lebensmittelverzicht im hautengen Anzug mit Skelett-Print.

Nur der Struwwelpeter, stilecht mit verfilzter Perücke und unmanikürten Nägeln, überlebt und wird zur Galionsfigur der Individualität stilisiert. Hoffmanns Faible für schwarze Pädagogik bietet Stoff für ein klamaukiges Musiktheater, das gleichermaßen an Geisterbahn und Lachkabinett erinnert. Die Moral von der Geschicht': Verpasse dieses Schauspiel nicht. (Patricia Kornfeld, 5.4.2024)