Uraufführung Peter Handke Villach Weger
Auf den Schwingen der Einbildungskraft durchmisst Michael Weger die Stationen von Handkes Dichterexistenz: "Mein Tag im anderen Land" erinnert an den Werdegang des Literaturnobelpreisträgers.
Patrick C. Klopf

Peter Handkes jüngste Buchveröffentlichung, die "Dämonengeschichte" Mein Tag im anderen Land, ist 2021 erschienen. In Deutschland wussten FAZ und Süddeutsche damals beide nicht so recht, wie diese Erzählung einzuordnen sei. Das rief nach einem lachenden Dritten, der sich auch einfand: Michael Weger, Intendant der Neuen Bühne Villach, erhielt von Autor und Verlag, bühnenmitteleuropäisch überraschend, die Genehmigung zur Uraufführung.

Weger, Theatermann mit bald 40-jähriger Erfahrung, hat diese Chance spektakulär genützt: Er ist jetzt an der Drau Bühnengestalter, Regisseur und Solodarsteller auf einmal. Als letzterer von einem so hohen Einfühlungsvermögen und einem so großartigen Einsatz, dass man versucht ist, zu sagen, er habe die Rolle seines Lebens gefunden. Vorerst steht Mein Tag im anderen Land bis 20. April am Villacher Programm. Für Dezember ist eine Reprise geplant.

Handke geht in dem Monolog mit eindrucksvoller Offenheit seine ganze innere Entwicklung durch. Von den stürmischen Anfängen der Publikumsbeschimpfungs-Zeit über die Beruhigung, fast Beschaulichkeit der Zeit der Langsamen Heimkehr bis zur späten Widerständigkeit der winterlichen und sommerlichen Flussreisen. Das Nachspüren der Vergangenheit, wie im Schreiben träumend – nicht zufällig denkt man gelegentlich an Grillparzers Der Traum ein Leben – muss Handke stellenweise schwer gefallen sein. Doch jeder Autor, tröstet sich der Nobelpreisträger, muss, will er ein exemplarischer Mensch sein, "durch drei, vier zeitweise qualvolle Verwandlungen gegangen sein".

An des Onkels Stelle

Den Wilden der Frühzeit, der in den Augen der Umwelt wirres Zeug verzapfte und sich von allen ruppig isolierte, hat der Autor überhaupt verdrängt – an ihn muss ihn "die Schwester" – biographisch wohl die Mutter – erinnern. Er tarnt sich als Ich des Textes ebenso recht durchschaubar als der Verfasser jener Abhandlung über Spalierobst, der real sein verehrter Onkel war.

Zur Räson bringt ihn, den Stürmer, der stumme Blick eines anteilnehmenden "Zuschauers", bei dem es sich wohl um einen der langjährigen Wegbegleiter handelt, zu denen etwa Alfred Kolleritsch zählte. Auch Ehe und Familie tragen in der Folge das Ihre bei. Dann lauert die Gefahr der Anpassung. Das beschließende Aufbäumen gegen das Nur-mehr- Sein, die Wiederentdeckung des Werdens im Widerstand, entspricht schon dramaturgisch dem Aufbau dieser dreisätzigen Lebenssinfonie.

Eigentlich selbstironisch fragt der Text am Ende in den Zuschauerraum: "Seid ihr alle da?" So schließt sich der Kreis der einstigen Beschimpfung der Nachkriegs-Theaterverantwortlichen als Kasperln.

Weger spielt das alles – es herrschte zur Entstehungszeit des Textes ja Pandemie – vor einem Holzverschlag im Garten von Handkes Refugium bei Paris. Bald mit der Geheimnishaftigkeit eines kichernden Narren, der sich von den Umstehenden undurchschaut fühlt, bald mit rückhaltloser Emphase in den Momenten, in denen die Emotion zwischen den Buchstaben herausschreit, oder mit mitfühlender Weichheit, ja Liebe, wo es eigentlich um die Natur geht. Weger zieht alle Register der Redekunst, ohne dem Publikum je unglaubwürdig zu werden. Dafür schafft Handkes Text die Voraussetzung. Es ist bei einem fast zweistündigen Monolog aber auch eine schauspielerische Leistung, die alle Bewunderung verdient. (Michael Cerha, 7.4.2024)