Der frühere jordanische Informationsminister Samih al-Maitah klingt im saudischen TV-Kanal Al-Hadath beinahe verzweifelt: "Jordanien besetzt Gaza nicht, Jordanien bombardiert Gaza nicht, Jordanien unterstützt Gaza politisch, diplomatisch und humanitär." Für Letzteres schlüpft König Abdullah schon einmal in seine Militäruniform, um an Hilfsgüterabwürfen über dem Gazastreifen teilzunehmen. Aber es nützt alles nichts: In der öffentlichen Meinung sind auch die schärfsten Verurteilungen der israelischen Kriegsführung, mit denen Königshaus und Regierung seit dem 7. Oktober 2023 nicht sparen, nicht genug.

Jordanische Sicherheitskräfte mit Demonstranten in Amman: Königshaus und Regierung äußern sich lautstark kritisch über Israels Palästinenserpolitik und Kriegsführung in Gaza, fürchten jedoch Hamas-Umtriebe im eigenen Land.
REUTERS/Alaa Al Sukhni

Eine Umfrage der University of Jordan, zitiert in "The Atlantic", kommt auf 66 Prozent Hamas-Unterstützer im haschemitischen Königreich. Laut Behörden ist das auf Hamas-Propaganda zurückzuführen. Aber auch der Iran wird der Wühlarbeit bezichtigt. Die Hetze geht offen vonstatten – etwa durch Hamas-Auslandschef Khaled Meshal, den auch Ex-Minister al-Maitah im Interview nennt – und durch Infiltration in den islamischen Bewegungen, allen voran der den Muslimbrüdern nahestehenden Partei Islamic Action Front. Noch dazu sollten bis November dieses Jahres Parlamentswahlen stattfinden. In der Vergangenheit hat Jordanien den Aufstieg der Islamisten bei Wahlen unter anderem durch "Gerrymandering" – das Verschieben von Wahlbezirksgrenzen, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen – verhindert.

Nächtelang vor Israels Botschaft

Die Demonstrationen, deren Slogans wie "Ganz Jordanien ist Hamas" teilweise völlig offen pro Hamas sind, haben besonders in der zweiten Ramadan-Hälfte zugenommen. Auf diesen Dienstag fällt der letzte Tag des islamischen Fastenmonats: Da gehen einerseits die religiös gefärbten Emotionen besonders hoch, andererseits findet die Verlegung vieler Aktivitäten in die Nachtstunden ihr natürliches Ende. Nächtelang protestieren in Amman in der Nähe des israelischen Botschaftsgebäudes wahre Menschenmassen.

Zwar ist der israelische Botschafter längst nicht mehr da, und auch sein jordanischer Kollege wurde zurückberufen. Aber die Demonstranten und Demonstrantinnen – es gab zum Beispiel ein Frauen-Sit-in – fordern den völligen Abbruch der israelisch-jordanischen Beziehungen inklusive Stornierung des "Wadi-Araba-Vertrags", des Friedensvertrags zwischen Jordanien und Israel von 1994.

Das wäre für das haschemitische Königshaus, dessen Stabilität immer eng an gute Beziehungen mit dem "Westen" geknüpft war, strategischer Wahnsinn. Jordanien, das durch zu enge Verbindungen mit dem irakischen Diktator und Kuwait-Invasor Saddam Hussein nach dem Golfkrieg 1991 wirtschaftlich am Boden lag, bekommt seit dem Friedensschluss von den USA 1,5 Milliarden US-Dollar (1,39 Milliarden Euro) an Militär- und Finanzhilfen jährlich – und hält sich wirtschaftlich dennoch nur schwer über Wasser. Mit Israel hat Jordanien unter anderem einen Gasdeal laufen und hofft auf die Ausweitung von israelischen Wasserlieferungen.

Gespaltene Gesellschaft

Mit den Protesten gegen Israel hat die so oft in "Palästinenser" und "echte Jordanier" gespaltene Gesellschaft aber einmal ein gemeinsames Thema. Jordanien ist das einzige arabische Land, in dem Palästinenserflüchtlinge leicht die Staatsbürgerschaft bekamen. Mittlerweile haben die Palästinensischstämmigen die Bevölkerungsmehrheit; auch Königin Rania, die in Interviews Israel besonders scharf kritisierte, gehört dazu. Aber laut Behörden zielt die Hamas-Propaganda besonders auf die jordanischen Stämme im Osten des Landes ab, die dem haschemitischen Königshaus traditionell verbunden sind, wenngleich dem aktuellen König etwas weniger.

Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah ist von den Vorgängen beunruhigt und meldete sich nach dem Aufruf Meshals an die Jordanier, auf die Straßen zu gehen, in der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa zu Wort: Die jordanische Sicherheit sei für die Palästinenser von vitalem Interesse. Da treffen sich mehrere Ängste: dass die israelische Rechte Palästinenser aus dem Westjordanland nach Jordanien drängt, dass das haschemitische Königshaus oder zumindest Abdallah stürzt und damit Jordanien zum Palästinenserstaat wird, der einen in den Palästinensergebieten unnötig macht.

Jordanien, als Staat ein Produkt der europäischen Nahostpolitik nach dem Ersten Weltkrieg und durch die Teilung des Palästina-Mandats des Völkerbunds entstanden, kontrollierte bis zur israelischen Eroberung 1967 das Westjordanland und hielt bis 1988 seinen Anspruch daran aufrecht. Erst dann erkannte König Hussein die PLO als die "einzige legitime Repräsentantin der Palästinenser" an. Die Hamas gehört nicht zur PLO.

Khaled Meshal, der in Katar lebt, hat einen jordanischen Pass. Israelische Mossad-Agenten versuchten 1997 nach einem Hamas- Selbstmordattentat in Israel, Meshal in Amman mit Fentanyl zu töten. In einem harten Zwist mit König Hussein, dem Vater des jetzigen Königs, mussten die Israelis das Gegengift liefern, um Meshal zu retten. Auch die Freilassung von Hamas-Führer Ahmed Yassin war Folge dieses verbockten Attentats in der ersten Regierungszeit von Benjamin Netanjahu. (Gudrun Harrer, 9.4.2024)