"Wenn Sie sich ärgern, schreiben Sie Ihre Gefühle auf einen Zettel und werfen Sie diesen weg": So lautet ein gerne vorgebrachter Tipp von alltagspsychologischen Ratgebern. Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass alleine schon das Niederschreiben dabei hilft, Ordnung in das aufgewühlte Innere zu bekommen und Dampf abzulassen. Die Methode nennt sich Expressives Schreiben und bildet in der Psychologie einen wichtigen und durch Studien gestützten therapeutischen Baustein, besonders wenn es um Kränkungen, belastende Emotionen oder traumatische Ereignisse geht.

Nicht weniger lindernd wirkt jedoch auch die symbolische Trennung von den notierten Zeilen: Schreibt man seine Reaktion auf ein negatives Ereignis auf ein Stück Papier und zerreißt es dann oder wirft es weg, dann reduziert dies ebenfalls die Wut. Die Methode ist sogar überraschend wirkungsvoll, wie nun eine japanische Forschungsgruppe in einer Studie untermauern konnte.

Fussballspieler schreit
Etwas hat Davie Selkes (1. FC Köln) Missfallen erregt. Hätte er nur ein Stück Papier und einen Stift bei sich, dann würde er sich schnell wieder beruhigen.
Foto: IMAGO/Kirchner/David Inderlied

Erfreuliche Evidenz

"Wir hatten schon erwartet, dass dieses Verfahren die Wut bis zu einem gewissen Grad unterdrücken würde", sagte der leitende Forscher Nobuyuki Kawai von der Universität Nagoya. "Wir waren dann aber doch überrascht, wie gut sich Wutgefühle damit beseitigen ließen." Für die wenigsten der vielen kursierenden Techniken zur Bewältigung von Ärger liegen empirische Forschungsdaten vor. Umso erfreulicher seien daher die nun vorliegenden Ergebnisse, so der Psychologe.

Die im Fachjournal "Scientific Reports " vorgestellte Studie baut auf jahrelangen Untersuchungen der Gruppe um Kawai auf. Ursprünglich ging es vor allem um die Frage, wie Interaktionen mit physischen Objekten die Stimmung einer Person beeinflussen können. Für seine aktuelle Arbeit bat das Team 50 Studentinnen und Studenten zu einem Experiment. Ihnen wurde die Aufgabe gestellt, einen kurzen Essay über wichtige gesellschaftliche Fragen zu verfassen, etwa ob das Rauchen in der Öffentlichkeit verboten werden sollte. Dann wurden sie darüber informiert, dass ihre Beiträge von Doktoranden der Universität bewertet würden.

Ablage oder Schredder?

Diese Beurteilung erfolgte allerdings in besonders harscher Weise: Unabhängig davon, wie durchdacht die Texte waren, ernteten die Probanden durchweg schlechte Bewertungen in den Bereichen Intelligenz, Interesse, Freundlichkeit, Logik und Rationalität. Um die Sache noch schlimmer zu machen, schrieben die Doktoranden auch einen beleidigenden Kommentar darunter: "Ich kann nicht glauben, dass ein gebildeter Mensch so denkt. Ich hoffe, diese Person lernt etwas, während sie an der Universität ist."

Kein Wunder, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber verärgert waren. Um ihrem Zorn Luft machen zu können, durften sie ihre Gedanken über die Beurteilungen niederschreiben. Dabei sollten sie sich vor allem auf die konkreten Auslöser ihrer Verstimmung konzentrieren. Im Anschluss wurde die Gruppe geteilt: Die eine Hälfte wurde aufgefordert, die ihnen verfasste Unmutsreaktion in einem Mülleimer zu entsorgen oder ihn in einem Ordner auf ihrem Schreibtisch aufzubewahren. Die zweite Gruppe sollte den Zettel in einem Schredder vernichten oder in einer Plastikbox ablegen.

Schnell verrauchte Wut

Zum Abschluss wurden alle Teilnehmenden darum gebeten, den Grad ihres Ärgers nach einem standardisierten System zu bewerten. Erwartungsgemäß hegten alle Probanden nach der schlechten Bewertung und dem beleidigenden Kommentar zunächst mehr oder weniger großen Groll. Bei jenen Personen aber, die ihre niedergeschriebene Wut in den Mistkübel warfen oder schreddern durften, ebbte der Ärger schnell und weitgehend ab. Wer das Papier im Ordner oder in einer Box abgelegt hatte, blieb dagegen auch später noch äußerst verstimmt.

Ob bei diesem Ergebnis der kulturelle Hintergrund eine Rolle spielt, muss vorerst offen bleiben. Doch Kawai und seine Gruppe sind überzeugt davon, dass die Resultate durchaus auch universell anwendbar sind. "Diese Technik könnte in Situationen eingesetzt werden, in denen sich wütende Reaktionen weitgehend verbieten, beispielsweise im Geschäftsleben", sagte der Psychologe. Indem man über die Quelle seines Ärgers schreibe und den Zettel danach wegwerfe, könne man auch in derartigen Situationen schnell wieder herunterkommen.

japanischer Schrein in Kiyosu
Beim japanischen Hiyoshi-Schrein in Kiyosu wird jedes Jahr ein Fest namens Hakidashisara begangen, bei dem kleine Scheiben zerschlagen werden, die unangenehme Gefühle symbolisieren.
Foto: Asturio Cantabrio

Zerschlagener Verdruss

Neben der praktischen Anwendbarkeit dieser Ergebnisse lieferte die Studie vielleicht auch Aufschluss über die Ursprünge einer japanischen Kulturtradition, die als Hakidashisara bekannt ist. Hakidashisara ist ein jährliches Fest am Hiyoshi-Schrein in Kiyosu, bei dem die Menschen kleine Scheiben zerschlagen, die Gefühle darstellen, die für Verdruss sorgen. Das Gefühl der Erleichterung, von dem Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Ende des Festes berichten, könnte in ähnlichen psychologischen Mechanismen wurzeln. (Thomas Bergmayr, 10.4.2024)