Innenminister Bassam Al-Mawlawi.
Pressekonferenz des libanesischen Innenministers.
AFP/ANWAR AMRO

Nach dem mysteriösen Verschwinden eines Lokalpolitikers droht im Ex-Bürgerkriegsland Libanon, das derzeit vor allem Schauplatz einer gefährlichen Eskalation zwischen der Hisbollah und dem Nachbarland Israel ist, ein Aufflammen der Spannungen zwischen rivalisierenden Lagern.

Pascal Sleiman, ein führender Vertreter der rechtsgerichteten christlichen Forces Libanaises (FL) in der Küstenstadt Byblos, war am Sonntagnachmittag von unbekannten Bewaffneten mitsamt seinem Fahrzeug von der Straße abgedrängt worden. Seither galt er als vermisst.

Tatverdächtige aus Syrien

Zunächst waren die Behörden von einer Entführung ausgegangen. Doch noch am Montag konnten Ermittler mehrere tatverdächtige Männer aus Syrien festnehmen. Wie die Armee am Abend mitteilte, hätten die Verhöre ergeben, dass Sleiman ermordet und sein Leichnam nach Syrien verschleppt worden sei. Armeevertreter sprachen von einem aus dem Ruder gelaufenen Autoraub einer syrischen Gang. Man habe Damaskus um Hilfe ersucht. Schon am Dienstag wurde der Leichnam aus der Stadt Homs in den Libanon überstellt.

Doch an der vorläufigen offiziellen Version gibt es Zweifel, die nicht zuletzt von seiner Familie und dem Chef der FL-Partei, Samir Geagea, in die Öffentlichkeit getragen werden. Demnach sei das Auto ja gar nicht gestohlen worden, hieß es von Sleimans Frau. Sie sehen ein "politisches Attentat".

"Die offizielle Darstellung, dass es sich um einen Autodiebstahl handelte, ist inkohärent", hieß es von den Forces Libanaises (FL), einer ausgewiesenen Anti-Hisbollah-Partei mit starken Verbindungen nach Saudi-Arabien. "Sofern nicht das Gegenteil bewiesen wird, gehen wir von einem direkten Angriff auf die LF zu aus," hieß es weiter.

Straßenproteste

Vertreter der Partei sahen zwar bisher davon ab, die schiitische und Iran-freundliche Hisbollah, die auch mit dem Assad-Regime in Syrien verbündet ist, direkt für das Verschwinden verantwortlich zu machen. Jedoch verwiesen sie wiederholt auf zahlreiche in den vergangenen Jahren ermordete Hisbollah-Kritiker – etwa den prominenten Kolumnisten Lokman Slim.

Am Montag blockierten FL-Unterstützer mit spontanen Protesten einige Straßen im Libanon: Sie versammelten sich unter anderem in Sleimans Heimatort im Norden, in Byblos und in der Hauptstadt Beirut. Laut Berichten beschädigte dabei ein wütender Mob auch Autos mit syrischen Nummerntafeln, drang in die Häuser syrischer Familien ein und verprügelte syrische Motoradfahrer.

Am Dienstag blieben infolge der Spannungen die Schulen in Beirut geschlossen. Die Angst vor neuerlichen blutigen Zusammenstößen zwischen den rivalisierenden konfessionellen Lagern, wie es sie zuletzt im Jahr 2021 zwischen FL-Sympathisanten und der Hisbollah gab, ist groß.

Ein Land mit vielen Problemen

Premier Najib Mikati und Innenminister Bassam Mawlawi versuchten in den vergangenen Tagen daher zu kalmieren: "Lasst uns das Verbrechen, dem Pascal Sleiman zum Opfer fiel, nicht mit anderen vergleichen", so Mawlawi. Der Libanon könne keinen weiteren Problemen standhalten, mahnte er. Auch der oberste Geistliche der maronitischen Christen im Libanon, Patriarch Béchara Pierre Raï, rief "angesichts der heiklen und spannungsgeladenen Umstände" zu "Ruhe und Zurückhaltung" auf.

Zugleich machten viele Politiker unterschiedlicher Couleur die syrische Flüchtlingskrise für die Spannungen im Land verantwortlich. Im Zuge des Krieges im Nachbarland haben hunderttausende Syrer im Libanon Zuflucht gefunden – ein Umstand, der immer wieder für Unmut in der Bevölkerung und rassistische Übergriffe auf Flüchtlinge sorgt.

Die Hisbollah selbst hat jegliche Verstrickung in den Fall zurückgewiesen. Ihr Anführer Hassan Nasrallah sagte bei seinem jüngsten öffentlichen Auftritt am Montagabend, dass der Fall "nichts mit Politik und der Hisbollah zu tun" habe. Auch er sprach von einer "sehr gefährlichen" Phase für das Land – wohl mit Blick auf die sich immer weiterdrehende Spirale der Eskalation mit Israel hinsichtlich des Gazakriegs beziehungsweise Nahostkonflikts – und rief zur Ruhe auf.

Nicht nur die Partei und ihre hochgerüstete, im Westen als Terrororganisation eingestufte Miliz sind im Libanon höchst umstritten, sondern auch ihr Vorgehen gegen Israel. Insbesondere aus christlichen Reihen wurde zuletzt immer wieder Kritik laut, die Hisbollah würde das Land in einen Krieg hineinziehen und sei für die fehlende Sicherheit im Land verantwortlich. (Flora Mory, 10.4.2024)