Zahlreiche Binnenvertriebene in Rafah sind derzeit in provisorischen Unterkünften wie Zelten untergebracht.
Zahlreiche Binnenvertriebene in Rafah sind derzeit in provisorischen Unterkünften wie Zelten untergebracht.
AFP/SAID KHATIB

Der islamische Fastenmonat ist vorbei, von Feststimmung kann in Gaza aber keine Rede sein: Die Verhandlungen über einen möglichen neuen Deal für eine Waffenruhe in Gaza stocken. Laut Israel und USA "liegt der Ball bei der Hamas", wie US-Außenminister Antony Blinken sagte. Die rechtsextremen Regierungsparteien in Israel wetzen dennoch bereits die Messer. Sie drohen erneut mit einem Platzen der Koalition, sollte Israel der Hamas allzu weit entgegenkommen.

Um den Haussegen geradezurücken, preschte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor zwei Tagen mit der Ankündigung vor, es gebe bereits "ein Datum" für die geplante Bodenoffensive in Rafah – was sein Parteikollege und Verteidigungsminister Joav Gallant gegenüber Washington sofort bestritt.

Immerhin, die Evakuierungspläne für eine solche Invasion werden klarer. Laut einer "dringenden Ausschreibung" des israelischen Verteidigungsministeriums sollen 40.000 Zelte angeschafft werden, mit einer Kapazität von je zwölf Personen. Auf diese Weise könnten Notunterkünfte für 480.000 Personen geschaffen werden. Wo, ist unklar. Die Armee sprach wiederholt von Al-Mawasi im südlichen Küstengebiet Gazas, wo jetzt schon zahlreiche Binnenvertriebene ausharren.

Rückkehr nach Khan Younis

Laut inoffiziellen Angaben aus Militärkreisen könnten bis zu 400.000 weitere Zivilisten "freiwillig" nach Khan Younis zurückkehren. Dort greift die Armee zwar weiterhin aus der Luft an, und es ist unklar, ob sich daran nach Beginn einer Rafah-Invasion etwas ändern würde. Nach dem weitgehenden Abzug der Bodentruppen aus dem Süden hat die Rückkehr nach Khan Younis aber schon begonnen, wie Videos aus der Region zeigen.

Weitere 150.000 Binnenvertriebene könnten in den Norden des Gazastreifens zurückkehren – zumindest ist das die Forderung der Hamas in den zähen Verhandlungen in Kairo. Was mit den weiteren rund drei bis vier Millionen Zivilisten geschehen soll, die sich darüber hinaus in Rafah aufhalten, ist unklar. Die USA verlangen von Israel nicht nur detaillierte Evakuierungspläne, sondern auch Garantien, dass für eine ausreichende Infrastruktur für die Versorgung mit Nahrung, Wasser und medizinischer Behandlung gesorgt ist.

Laut Berichten sollen Vertreter des internen Sicherheitsapparats der Hamas unter den Rückkehrenden in Khan Younis Angst verbreiten und Drohungen aussprechen. So soll vermieden werden, dass rivalisierende Gruppen – vor allem die Fatah-Bewegung – an Zulauf gewinnen. Das widerspricht zwar Israels deklariertem Kriegsziel, die Hamas-Führung in Gaza zu beenden, auch auf politischer Ebene. Da es aber keinen tragfähigen Plan B gibt, um die Führung auf moderate Kräfte zu übertragen, nützt das letztlich der Hamas, kritisieren Experten.

Forderung nach mehr Druck auf Hamas

Interne Kritik gibt es in Israels Regierung auch an den widersprüchlichen Signalen, die Israel nun im Zuge der Verhandlungen um einen Geisel-Deal aussendet, und zwar nicht nur von den rechtsextremen Vertretern rund um Finanzminister Bezalel Smotritsch und Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir. Auch in Netanjahus Likud-Partei verlangt man mehr Druck auf die Hamas.

Dass die Armee ihre Bodentruppen aus dem Süden weitgehend abgezogen hat und nun auf Druck der USA eine Rekordzahl an humanitärer Hilfe in den Gazastreifen kommt, wird als Einknicken Israels gesehen. Dem schließt sich Militärexperte Michael Milstein, ein früherer hochrangiger Offizier der israelischen Armee, grundsätzlich an. "Die Hamas betrachtet das Gesamtbild, sieht, dass 500 Lkws mit Hilfslieferungen hereinkommen, und sagt: Die israelische Seite meint es nicht wirklich ernst."

Da helfe es auch nichts, wenn Netanjahu vor laufenden Kameras versicherte, dass es sogar schon ein Datum gebe, so Milstein. In Israel sorgte die Ansage vor allem für Häme und Spott in sozialen Medien.

Die rechten Hardliner in Israels Regierung ließen sich dadurch nicht besänftigen, in Washington hingegen sorgte Netanjahus Ansage für neuerliche Verunsicherung: Schmiedet Israel nun doch ohne Rücksprache mit dem wichtigsten Verbündeten konkrete Rafah-Pläne? Es lag schließlich an Verteidigungsminister Gallant, seinen US-Amtskollegen Lloyd Austin via Telefonat zu beruhigen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 10.4.2024)