Pearl Jam, auch schon im Hutalter angelangt, veröffentlichen das Album
Pearl Jam, auch schon im Hutalter angelangt, veröffentlichen das Album "Dark Matter".
Universal

Die Liebe der österreichischen Pearl-Jam-Fans wurden zuletzt arg geprüft. Denn als ein von Corona über Jahre verzögertes Konzert im Juli 2022 endlich hätte stattfinden sollen und viele Fans schon in der Wiener Stadthalle waren, ihr Sitzplatzerl einrichteten (Rock-'n'-Roll-Polster!) oder die 300-Euro-Ohrstöpsel einschraubten, hieß es plötzlich, sorry, Abmarsch, Pearl Jam sagen ab. Eddie Vedder gab Stimmbandschnupfen als Grund an. Es folgte das übliche Blabla via asoziale Medien, zurück blieben 12.000 Fans mit tagelangem Sodbrand. Oft hast a Pech.

Dabei hätten Pearl Jam mit dem 2020 erschienenen Album Gigaton ein ziemlich gutes Werk vorzustellen gehabt. Jetzt ist es wieder so weit. Am Freitag erscheint mit Dark Matter das zwölfte Studioalbum der US-amerikanischen Hardrocker.

Diese stammen aus Seattle, waren Teil der Szene, die mit Grunge berühmt wurde, und sind heute die größten Überlebenden dieser Ära. Wobei sie, als Nirvana durch die Decke gingen, eher wie klumpfüßige Trittbrettfahrer wirkten, die dem Stadionrock der 1980er viel näher waren als der schlechten Laune, die Grunge via Punk und dessen Folgen injiziert war. Über diese und ihr entgegenlaufende Sichtweisen lässt sich bis heute streiten. Fest steht, dass Pearl Jam über 30 Jahre später zu den populärsten Rockbands zählen, während inspiriertere Figuren längst tot sind: Der Nirvana-Kurt, der Soundgarden-Sänger Chris Cornell, Layne Staley von Alice in Chains, selbst den sich lange erfolgreich wehrenden Mark Lanegan hat es vor zwei Jahren erwischt.

Pearl Jam - Running (Official Visualizer)
PearljamVEVO

Wie Nirvana haderten Pearl Jam immer ein wenig mit dem Erfolg, weil viel Geld zwar lässig, aber erste Klasse fliegen wenig Punk ist. Auch darüber lässt sich streiten. Immerhin war die Band in den 1990ern auf dem Album Mirrorball die Begleitband von Neil Young – und es gibt Menschen, die sagen, das sei ihre beste Arbeit. Nächster Streitpunkt.

Dark Matter, um ins Heute zu gelangen, ist eine solide Arbeit. Gigaton vor vier Jahren überraschte mit einer besonderen Angriffslust, die sich erfolgreich den schweren Themen stellte: Klima, Trump, abnehmende Gelenkigkeit beim Schuhebinden … Vedders Songs beklagen oft die Verhältnisse und können dabei ein bisserl schwerfällig werden. Doch Gigaton war stellenweise richtig geil und fuhr.

Dark Matter wurde vorab als harte Suppe angekündigt, die Band hat das Ding in drei schnellen Wochen im Studio von Rick Rubin eingespielt, als Produzent wurde Andrew Watt bezahlt, der hat zuletzt das Rolling-Stones-Album Hackney Diamonds erfolgreich entbunden.

Pearl Jam - Dark Matter (Official Visualizer)
PearljamVEVO

Die Songs auf Dark Matter sind wohltuend kurz, ein Titel wie Running knallt, das darauf folgende Something Special ist eine höhere Lagerfeuer-Ballade, nicht schlecht. Das Lied nimmt zwar Geschwindigkeit heraus, nur bedeutete das bei Pearl Jam früher oft eine siebenminütige Weltschmerzballade mit daumendicken Halsschlagadern. Nicht hier. Man lässt einfach beherzt schunkeln. Got to Give ist ein Stück, das auf keinem Bruce-Springsteen-Album auffallen würde – immerhin mit ohne Saxofon. Mit Setting Sun geht es am Ende weitgehend akustisch in Richtung Himmelbett.

140 Kilo Gewicht

Das wäre das Album von hinten betrachtet. Von vorne folgt es nachgerade dem Amtsweg des Fachs. Die ersten beiden Songs spielen sie am Anschlag, dann Balladenpause. Das ist brav und okay, aber schablonös bis zum Abwinken. Gut, die wilden Songs sind ansprechend wild, doch die Pflichtballade ist dann meist wirklich nur eine langsamere Nummer, die beim einen Ohr rein und beim anderen wieder rausgeht, ohne dass irgendetwas hängen bliebe.

Der Titelsong klingt dann wie im Fitnessstudio unter einem 140 Kilo schweren Metallscheiben-Ensemble an der Langhantel eingesungen. Er erinnert an einen Soundgarden-Song, an den man sich nicht erinnern kann, weil man ihn gleich wieder vergessen hat. Darüber kann man natürlich ... – eh schon wissen. Aber Pearl Jam sind ja nicht bloß eine Band, sie sind ein Lebensbegleiter für viele. Und diesen widmet man sich gesamtheitlich, in großer Demut und Hingabe. Zumindest die Fans. Und wenn man den Song 20-mal hört, ist er vielleicht richtig gut. Doch in der Zeit kann man natürlich 20 andere auch hören. Am Ende ist Dark Matter ein durchschnittlich leiwandes Werk ohne große Ausreißer – weder nach oben noch nach unten. (Karl Fluch, 18.4.2024)