Abtreibungsbefürworterinnen demonstrieren in Tucson.
Abtreibungsbefürworterinnen demonstrieren in Tucson.
IMAGO/Christopher Brown

Normalerweise ist Donald Trump seinem Amtsnachfolger in den sogenannten sozialen Medien ein paar Schritte voraus. Doch am Dienstag bewies Joe Biden eine bemerkenswerte Schlagfertigkeit. "Trump hat das getan", postete der Präsident kurz nach einem bahnbrechenden Urteil aus Arizona auf X (ehemals Twitter). Das mitgesandte Foto zeigte einen vom Golfspiel erschöpften Trump mit der Schlagzeile: "Arizonas Oberstes Gericht setzt fast komplettes Abtreibungsverbot von 1864 in Kraft."

Auf die vermeintliche Werbung hätte Trump wohl gern verzichtet. Er selber äußerte sich jedenfalls zur Sache stundenlang nicht. Der Grund liegt auf der Hand: Der radikale Richterspruch in einem der umkämpftesten Swing-States mobilisiert empörte moderate Wähler und könnte Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November entscheidende Stimmen kosten. Immer stärker rückt der Kampf um die Abtreibung auch anderswo ins Zentrum des amerikanischen Wahlkampfs, und den Republikanern droht ihr Kreuzzug gegen das einstmals liberale Recht zunehmend auf die Füße zu fallen.

Nur bei akuter Gefahr ...

Die Vorgänge in Arizona illustrieren die brisante Dynamik: Vor 160 Jahren war in dem Wüstenterritorium, das damals noch kein US-Bundesstaat war, ein fast absolutes Verbot des Schwangerschaftsabbruchs beschlossen worden. Ausnahmen gibt es nur bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter – nicht bei Inzest oder Vergewaltigung. Die Einführung eines US-weiten liberalen Abtreibungsrechts durch den Washingtoner Supreme Court im Jahr 1973 neutralisierte das anachronistische Landesgesetz für fünf Jahrzehnte. Im Sommer 2022 aber kippte das von Trump nach rechts außen verschobene höchste US-Gericht sein damaliges Urteil.

In Arizona wurden die Regeln daraufhin deutlich verschärft, doch blieb zunächst die Abtreibung bis zur 15. Schwangerschaftswoche straffrei. Nun aber hat der Supreme Court des Bundesstaats das Verbot von 1864 wieder in Kraft gesetzt. Ausdrücklich informierte das Gericht alle Ärztinnen und Ärzte, dass ihnen bei Zuwiderhandlung zwei bis fünf Jahre Haft drohen.

Zwar tritt das Urteil aus prozeduralen Gründen nicht vor Juni in Kraft. Dann aber müssen die entsprechenden Kliniken und Praxen wie in 14 anderen Bundesstaaten wohl schließen. Der Bundesstaat Arizona, der als Sinnbild der toleranten Gelassenheit gilt und sich mit den boomenden Regionen um Phoenix und Tucson gerade als hochmoderner Standort für erneuerbare Energien, Batteriefertigung und Chip-Herstellung zu positionieren versucht, fiele gesellschaftspolitisch auf den Stand von Mississippi und Louisiana zurück: Frauen müssen dann nach Kalifornien, New Mexico oder Nevada reisen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden.

Dramatische Folgen

Ähnlich dramatisch wie die persönlichen sind die politischen Folgen des Urteils. Gerade erst hat Trump in einer Videobotschaft versucht, den von ihm lange befeuerten Furor der religiösen Rechten gegen die Abtreibung zu bremsen und seine Anhänger daran erinnert, dass sie bei Wahlen mehrheitsfähige Positionen vertreten müssen. Er selbst versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem er die Gesetzgebung zur Sache der Bundesstaaten erklärte. Nun beleben republikanische Richter in einem solchen Bundesstaat ein rigides Gesetz aus dem 19. Jahrhundert wieder.

"Das ist nicht der Ausgang, den ich mir gewünscht hätte", erklärte denn auch Arizonas republikanischer Ex-Gouverneur Doug Ducey, der das Obergericht des Bundesstaats nach rechts gerückt hatte, eilig. Auch die enge Trump-Verbündete Kari Lake, die sich 2022 vergeblich um Duceys Nachfolge bemüht hatte und nun für den US-Senat kandidiert, versicherte schleunigst, sie sei mit dem Urteil nicht einverstanden: "Das passt nicht zu den Menschen in Arizona".

Damit dürfte die ultrarechte Wahlleugnerin recht haben. Bei einer Umfrage der "New York Times" vom vorigen Oktober sprachen sich 59 Prozent der registrierten Wähler in Arizona dafür aus, dass Abtreibung meist oder immer legal sein soll. Nur 34 Prozent wollten ein weitgehendes Verbot. Während einige republikanische Abgeordnete nun eilig versuchen wollen, das Inkrafttreten des Gesetzes aus dem 19. Jahrhundert noch irgendwie zu verhindern, bereiten Abtreibungsbefürworter mit einer Unterschriftenaktion ein Referendum vor, das das Recht auf Abtreibung in der Landesverfassung festschreiben soll.

Über den Vorstoß dürfte parallel zur Präsidentschaftswahl abgestimmt werden. Die Demokraten hoffen auf einen kräftigen Mobilisierungsschub. Schon am Freitag reist Vizepräsidentin Kamala Harris für eine Kundgebung nach Tucson. Ihr Thema: "Der Kampf für das Abtreibungsrecht." (Karl Doemens aus Washington, 10.4.2024)