Am Stadttheater Klagenfurt werden die Stücke
Am Stadttheater Klagenfurt werden die Stücke "Frühere Verhältnisse" und "Häuptling Abendwind" zu einem neuen Werk vermengt.
Karlheinz Fessl

Die beiden letzten Bühnenwerke Johann Nestroys, chronologisch aneinandergereiht: Diese eigentlich simple, dennoch seltene Programmierung hat jetzt die Leitung des Klagenfurter Stadttheaters vorgenommen. Vor der Pause wird anhand der Früheren Verhältnisse die ultimative Gesellschaftskritik, nach der Pause mit Häuptling Abendwind so etwas wie das politische Schlusswort des Dramatikers präsentiert, der im Mai 1862, vier bzw. drei Monate nach den Erstaufführungen der genannten zwei Einakter, einem Schlaganfall erlag. Dominique Schnizer gestaltet die Pointensalven mit einem kleinen, feinen Ensemble, aus dem im ersten Teil Gerald Votava, Christoph F. Krutzler, Gerti Drassl und Magda Kropiunig, im zweiten Teil der Kabarettist Rudi Widerhofer sowie noch einmal Krutzler und Kropiunig hervorragen.

Das Tempo ist vor allem in den Früheren Verhältnissen so hoch, dass einem beim bloßen Zuhören die Luft wegbleibt. Die Bühne dreht die Handlung schwindlig. Der Bankrotteur (Krutzler) und der Blender (Votava), die begnadet eingebildete Schauspielerin (Drassl) und die grundlos hochmütige, aufgeplusterte Professorentochter (Kropiunig) zeigen, wie nicht nur anno 1860 in Österreich getäuscht und gelogen, mies erpresst, verdrängt und dann doch nichts als kläglich gescheitert wurde. Es fällt kaum auf, dass irgendwer irgendwann das Wort "Signa-Pleite" einwirft. So explosiv ist Nestroys "in Watte gewickeltes Dynamit" (Karl Kraus) geblieben, so gründlich räumt er mit der Romantik auf.

Gendern, Leitkultur, Remigration

Wobei die Früheren Verhältnisse sich eben auf die Ebene der Zwischenmenschlichkeit beziehen. Diese Zurückhaltung kennt Häuptling Abendwind nicht mehr. Zwar tut sich der insulanische Altpolitiker (Widerhofer) mit dem Gendern schwer, aber Begriffe wie "Leitkultur" oder "Remigration" lassen seine Augen leuchten. Die Konferenz mit dem Nachbarherrscher ist eine Parodie auf die Weltpolitik, wie sie die Marx Brothers nicht entlarvender zustande gebracht hätten. Zur Entstehungszeit des Textes wollte Österreich noch Kolonialmacht werden.

Es war gerade Fasching, dass allerdings der bei der Premiere anwesende Kaiser das grotesk angemaßte Überlegenheitsgefühl der Bevölkerung von Groß-Lulu, alias eindeutig Österreich, auch nur mit einem Schmunzeln bedacht hätte, ist nicht berichtet. Die Überzeichnung, dass die europäischen Kulturexporteure die wahren Kannibalen sind, wurde als Geschmacklosigkeit getadelt. Nach fünf Aufführungen verflüchtigte sich der Abendwind für 50 Jahre. Und wahrscheinlich musste wirklich das 20. Jahrhundert passieren, um einem Theaterpublikum die antinationalistische Satire so präsentieren zu können, dass es dazu sogar noch klatscht. Wie gerade in Klagenfurt. (Michael Cerha, 12.4.2024)