Zahlreiche Schulbauten in den USA sind mit dem Bauschadstoff PCB belastet, der bis zum Verbot im Jahr 1979 vielfach unter anderem als Weichmacher eingesetzt wurde.
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Christie Lewis befand sich in der Endphase ihres Studiums, als ihr der Arzt die beklemmende Nachricht eröffnete. Wochenlang war die Studentin der North Carolina State University nachts immer wieder nassgeschwitzt aufgewacht, ohne sich ihren Gesundheitszustand erklären zu können. Dann kam 2012 die Diagnose: Schilddrüsenkrebs. Einige Monate später wurde ein bösartiger Tumor in ihrem Nacken gefunden.

"Mein erster Gedanke war: So ist das. Menschen bekommen Krebs", berichtete Lewis vor wenigen Tagen dem Sender Fox News. Eine Verbindung zur Universität oder dem Lehrgebäude, in dem sie vier Jahre lang Vorlesungen und Seminare besucht hatte, stellte sie zunächst nicht her: "Ich dachte einfach, dass etwas mit mir nicht stimmt."

Inzwischen sieht Lewis das anders. Sie ist eine von 150 Frauen und Männern, die sich beim Lokalsender WRAL in der Landeshauptstadt Raleigh gemeldet haben, seit die Radiostation im Herbst erstmals über giftige Bauschadstoffe in der Poe Hall berichtete, wo zuvor fünfzig Jahre lang Pädagogik und Psychologie gelehrt worden waren. Alle Personen hatten sich in der Vergangenheit in dem Gebäude aufgehalten, und bei allen wurde Krebs festgestellt.

Zusammenhang schwer nachzuweisen

Zwar ist ein Zusammenhang zwischen den konkreten Erkrankungen und den toxischen Schadstofffunden bislang nicht nachgewiesen. Berichte mehrerer Boulevardzeitungen haben die Vorgänge gleichwohl weit über den Bundesstaat North Carolina hinaus bekanntgemacht. Dort steht derzeit vor allem die Hochschule unter Druck, die schon 2018 Hinweise auf Giftstoffe an dem Gebäude gehabt haben soll. Doch mittelfristig könnten sich die Debatte und absehbare Klagen weit über den konkreten Fall hinaus auf den Chemiekonzern Monsanto konzentrieren, der schon wegen der Auseinandersetzung aufgrund des Unkrautvernichters Glyphosat für Schlagzeilen sorgte und seit 2018 zum deutschen Bayer-Konzern gehört.

Im Zentrum der Debatte stehen nämlich sogenannte Polychlorierte Biphenyle (PCB), die bis Ende der 1970er-Jahre in den USA mutmaßlich in zehntausenden Schul- und Hochschulgebäuden verwendet wurden. Die Chemikalie findet sich in Lacken, Dichtungsmassen und Isoliermitteln. Die US-Behörden stufen sie inzwischen als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Und ihr mit Abstand wichtigster Hersteller war Monsanto.

Monsanto steht Ärger ins Haus

"Ich glaube, wir werden bald eine Menge Klagen gegen Monsanto sehen", sagt Ben Whitley. Der Mitinhaber einer Anwaltsfirma in Raleigh hat sich auf toxische Chemikalien spezialisiert. Auf ihrer Homepage listet die Kanzlei genau auf, wo auf dem Campus welche Mengen von PCB gefunden wurden, und fordert möglicherweise Betroffene auf, sich zu melden. In den USA können Anwälte mit Schadenersatzklagen gegen Konzerne eine Menge Geld verdienen. Doch Whitley weiß: "Es ist nicht einfach, vor Gericht die Kausalität nachzuweisen, die zu einer Krebserkrankung führte."

In jedem Fall steht Monsanto und seiner deutschen Mutter Bayer neuer Ärger ins Haus. Im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA ist das Unternehmen im vorigen Dezember schon zu einer Straf- und Schadenersatzzahlung von 857 Millionen Dollar an fünf Schüler und zwei Eltern verurteilt worden, die nach jahrelangem Aufenthalt in einer Schule nordöstlich von Seattle krank geworden waren und dies auf das in den Deckenleuchten gefundene PCB zurückführen. Monsanto ficht das Urteil in der Berufung an.

Hohe Kosten

Derweil haben mehrere Schulen und sogar der Generalstaatsanwalt von Vermont im vergangenen Jahr Klagen gegen Monsanto eingereicht. Der Bundesstaat im Osten der USA geht am rigorosesten gegen den Bauschadstoff in seinen Lehranstalten vor. Nach einem PCB-Fund in einer Schule in Burlington vor vier Jahren hat das Parlament die Testung aller älteren Schulen im Land angeordnet. Die Untersuchung, der Austausch und möglicherweise gar Neubau könnten Milliarden verschlingen.

Doch beim Bayer-Konzern weist man jede Verantwortung von sich. Nicht nur gebe es "keine ausreichenden Beweise" für die Verursachung der Erkrankungen durch die giftige Chemikalie, heißt es in einer Erklärung des Unternehmens: Vor allem seien "die relevanten Produkte wie die Beleuchtungskörper und Dichtungsmasse nicht von Monsanto, sondern von anderen Unternehmen" hergestellt worden. Mit denen habe man vor der Lieferung des PCB "weitreichende Haftungsfreistellungen" vereinbart. Im Übrigen sieht Bayer die Schuld bei den amerikanischen Schulverwaltungen: Die betroffenen Produkte "hätten bereits vor Jahrzehnten ausgetauscht werden müssen". (Karl Doemens aus Washington, 11.4.2024)