Ein weißhaariger Pierre Richard im Jahr 2023 bei den Filmfestspielen in Cannes.
Vor 51 Jahren passte die Beschreibung eines unbekannten Täters noch exakt auf den französischen Schauspieler Pierre Richard, gewisse körperliche Veränderungen seit damals schließen ihn mittlerweile als Verdächtigen aus.
APA/AFP/CHRISTOPHE SIMON

Wien – Selbst Vorsitzender Daniel Rechenmacher scheint ein wenig überrascht über den Betrag, den die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) für ein Messerloch in einem City-Jet-Sitz vom Angeklagten Herrn B. erstattet bekommen wollen. Exakt 1.029,40 Euro fordern die ÖBB – der neue Bezug und die Arbeitszeit selbst kosten dabei nur 162 Euro, der Rest ist die Abgeltung dafür, dass die Garnitur Nummer 92615 während der Reparatur mehrere Stunden nicht eingesetzt werden konnte. Diese auf Video aufgezeichnete Sachbeschädigung ist der einzige Punkt, den der 17 Jahre alte Angeklagte vor dem Schöffensenat zugibt, die Vorwürfe des Bestellbetrugs und des schweren Raubes bestreitet er dagegen mit kurios klingenden Geschichten.

Vielleicht ist die Geldforderung ein Grund, warum B. nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus transdanubischen Gefilden anreist, sondern der Vater ihn mit dem Auto bringt. Wobei wieder klar wird, dass die Öffis in der Bundeshauptstadt nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch zeitökonomisch im Vorteil sind: Der Angeklagte betritt den Saal erst acht Minuten nach Aufruf der Sache, sein Erziehungsberechtigter sucht überhaupt gleich 40 Minuten einen Parkplatz.

Der angeklagte Teenager ist strafrechtlich unbescholten, hat aber mit der Justiz bereits Erfahrungen: Er taucht in Akten auf, als er noch unmündig war, nach einer Diversion wurde er ab Mai 2023 von einem Bewährungshelfer betreut. Der Mitarbeiter des Vereins Neustart hält in seinem Bericht die "ausbaufähige Termintreue" des Österreichers fest, daher habe noch kein wirklicher Beziehungsaufbau stattfinden können.

Sachbeschädigung, Betrug, Raub

Warum er im vergangenen September den Sitz beschädigt hat, kann er nicht begründen. "Kann ich mir selber nicht erklären. Ich habe es einfach gemacht", antwortet B. auf die Frage des Vorsitzenden. Einen knappen Monat nach dem Vandalismus soll der Lehrling laut Staatsanwalt ein schwereres Delikt begangen haben. Er wurde am 9. Oktober dabei gefilmt, wie er in einer Postfiliale ein Paket mit einer im Internet um 549,99 Euro bestellten Playstation 5 abholte. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass der junge Mann das Konto einer 63-jährigen Oberösterreicherin gehackt und das Spielgerät in ihrem Namen geordert hat.

"Ich wusste nicht einmal, dass da eine Playstation drinnen ist!", verteidigt der Angeklagte sich. Er habe nur den Auftrag eines Unbekannten ausgeführt und das Packerl abgeholt und übergeben. Das sei "ein großer Blonder" namens Selim ist alles, was B. zum möglichen Auftraggeber sagen kann. Er kenne ihn vom Sehen in der Siedlung, wisse aber nicht genau, wo Selim wohne. "Ich hatte Angst vor ihm", behauptet der 17-Jährige. Vorsitzender Rechenmacher vermutet einen anderen Hintergrund: "A Geld ham S' kriegt!", was der Angeklagte bestätigt. 20 Euro bekam er nach der Übergabe, beim zweiten Versuch vier Tage später, der scheiterte, da die geprellte Kundin die Bestellung stornieren konnte, seien es nur mehr zwei oder drei Euro gewesen.

Raubüberfall mit Pfefferspray

Bei den Erhebungen der Wiener Kinder- und Jugendgerichtshilfe hat B. sich selbst als "Pechvogel, der Probleme anzieht", beschrieben, und genau das sei auch beim schwerwiegendsten angeklagten Delikt, dem schweren Raub, passiert. Laut Anklage soll B. mit einem unbekannten Mittäter in der Nacht auf den 11. November einen betrunkenen 48-jährigen Serben überfallen haben. Der Mann wurde mit Pfefferspray eingenebelt, anschließend wurde ihm seine Geldtasche mit 500 Euro Bargeld und zwei österreichischen sowie zwei serbischen Bankomatkarten weggenommen.

Damit habe er nichts zu tun, beteuert B. zu diesem Fall. Allerdings: Er benutzte eine der geraubten Bankomatkarten um 4 Uhr früh bei einem Schnellrestaurant am Gürtel, kurz danach für eine Bolt-Fahrt und schließlich nochmals am nächsten Morgen. Die Sache sei ganz anders gewesen, sagt der Angeklagte. "Ich war fort und wollte mir ein Nice-Price-Menü kaufen, hatte aber zu wenig Geld. Da habe ich vor dem Restaurant Leute gefragt, ob sie einen oder zwei Euro für mich haben", erzählt er. Einer der Anwesenden habe gesagt: "Kein Problem, ich geb dir meine Karte."

Er habe sich seine Speisen gekauft und die Karte retour gegeben. Kurz darauf sei er vor dem Restaurant mit zwei 16-jährigen Nachtschwärmerinnen ins Gespräch gekommen, die den Fahrdienstleister in Anspruch nehmen wollten, auch die habe der Unbekannte eingeladen. Beisitzerin Katharina Adegbite-Lewy misstraut dieser Geschichte. "Mit der Karte wurde im Lokal innerhalb von zwei Minuten zweimal bezahlt. Insgesamt wurden 25,40 Euro abgerechnet!", hält sie dem Angeklagten vor. "Ich habe mir nur einen Burger, Pommes und ein Getränk gekauft", bleibt dieser bei seiner Version. "Das ist ein nice price?", sieht Adegbite-Lewy die Preisgestaltung kritisch.

Zeuginnen und Zeuge mit wenig Erinnerung

Die dann folgenden Zeuginnen können wenig zur Aufklärung beitragen. Das Raubopfer sagt, sehr betrunken gewesen zu sein und nur mehr Erinnerungsfetzen zu haben: an einen Nebel, brennende Augen, einen kurzen Moment im Rettungswagen und das Aufwachen im Spital, wo sein Portemonnaie fehlte. Die beiden 16-Jährigen können den Angeklagten berauschungsbedingt ebenso wenig sicher identifizieren. Obwohl er mit ihnen sogar nach Hause gefahren ist und bei einer der Freundinnen übernachtet hat. Für die Fahrt wurde das Bolt-Konto einer der jungen Frauen benutzt, in das jemand die Kontonummer von der gestohlenen Bankomatkarte eingespeichert hatte. Das sei vor dem Einsteigen passiert, ist eine der wenigen Erinnerungen, die die 16-Jährige noch hat.

Vorsitzender Rechenmacher fordert den Angeklagten auf, den beiden Teenagerinnen ein Bild auf seinem Handy zu zeigen. B. sagt, auf dem Foto sei der Unbekannte zu sehen, von dem er die Bankomatkarte bekam. Einen Namen kenne er nicht, er habe ihn später aber in der Gegend wieder gesehen und fotografiert. Tatsächlich ist eine gewisse äußere Ähnlichkeit zwischen den beiden Jugendlichen nicht zu leugnen – die 16-Jährigen halten daher beide für mögliche Kandidaten.

Positive Entwicklung beobachtbar

Aus der Jugenderhebung geht hervor, dass sich das Leben des Angeklagten in eine positive Richtung entwickelt. Er hat die Lehre begonnen, sich von seinem alten Freundeskreis gelöst und eine Partnerin gefunden, die ihn erfolgreich von dummen Gedanken abzuhalten scheint. Auf die in dem Bericht geschilderte schwierige Familiensituation im elterlichen Haushalt geht Rechenmacher nicht näher ein.

In den Schlussplädoyers sieht der Staatsanwalt in den angeblich unbekannten Tätern "eine reine Schutzbehauptung, das ist lebensfremd". Die Verteidigerin nimmt es genau umgekehrt wahr: "Wenn mein Mandant tatsächlich eine Brieftasche mit 500 Euro Bargeld geraubt hätte, hätte er bar bezahlt und keine elektronische Spur hinterlassen, die durch das Überwachungsvideo zu ihm führt." Die Rechtsvertreterin wundert sich auch, dass der IP-Adresse, von der aus der Bestellbetrug begangen wurde, nie nachgegangen wurde.

Der Schöffensenat braucht im Anschluss nur wenige Minuten, um zu einer Entscheidung zu kommen. B. wird nur wegen der Sachbeschädigung verurteilt, es handelt sich dabei um einen Schuldspruch ohne Strafe. Zusätzlich muss er die Bewährungshilfe fortsetzen und eine Therapie bei der Männerberatung absolvieren. Den ÖBB muss er den geforderten Betrag bezahlen. Von den schwerwiegenderen Delikten wird der 17-Jährige dagegen freigesprochen, da es objektiv zu wenige Beweise gebe, dass er die Taten begangen habe, begründet Rechenmacher. Während der Jugendliche die Entscheidung akzeptiert, gibt der Vertreter der Staatsanwaltschaft keine Erklärung ab, das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 13.4.2024)