Matteo Salvini gestikuliert.
Matteo Salvini hat bereits bessere Zeiten gesehen. Nun scheint er auf dem absteigenden Ast zu sein.
EPA/ANGELO CARCONI

Umberto Bossi, der alte Politfuchs, hat den Zeitpunkt für die Abrechnung perfide gewählt: Am vergangenen Wochenende feierte die rechte Lega in Varese ihr 40-jähriges Bestehen, mit einer "risottata" – also einem großen Risotto-Essen. Und am Vorabend der Party erklärte die herzkranke 82-jährige Parteiikone von zu Hause aus vor laufenden Kameras: "Die Lega braucht einen neuen Leader – einen, der wieder die Interessen Norditaliens ins Zentrum stellt." Bossi nannte auch gleich einen möglichen Kandidaten: "Giancarlo Giorgetti ist ein guter Mann", erklärte der Parteigründer. Giorgetti ist Finanzminister der Rechtsregierung von Giorgia Meloni und innerhalb der Lega die moderate Antithese zum rechtsradikalen Scharfmacher und Putin-Verehrer Matteo Salvini.

Salvini dürfte daraufhin der Appetit auf das Risotto gründlich vergangen sein – zumal Bossis Stimme in der Lega immer noch großes Gewicht hat und der Parteigründer keineswegs der einzige ist, der den Kurs des Parteichefs und Vizepremiers kritisiert. Der frühere Lega-Justizminister Roberto Castelli wurde noch deutlicher: "Salvini hat den Traum der 'leghisti' (Lega-Anhänger, Anm.), nämlich die Autonomie des Nordens, verraten. Seine Zeit ist abgelaufen." Laut Castelli sind unter dem jetzigen Parteichef die Ideen und Forderungen, die das ideologische Fundament der Lega gebildet hätten, aufgegeben worden; stattdessen habe Salvini eine neue, nationale und zentralistische Partei geschaffen – "mit dem einzigen Ziel, Premier zu werden".

Lega mit und ohne "Nord"

In der Tat ist die Lega im Vergleich zu ihren Anfängen kaum noch wiederzuerkennen. Als Bossi am 12. April 1984 in Varese seine Partei gründete, hieß diese zunächst Lega Autonomista Lombarda. Dann wurde sie zur Lega Lombarda und nach dem Zusammenschluss mit der Liga Veneta der Region Venetien zur Lega Nord. Unter Parteichef Bossi verbündete sich die Lega Nord mit Silvio Berlusconi und kam mit diesem 1994 erstmals an die Regierung. Auch bei allen späteren Amtszeiten des im vergangenen Jahr verstorbenen "Cavaliere" war die Lega Teil der Regierungskoalition. Bossi träumte von einem eigenen Land namens "Padanien", das alle Regionen Norditaliens umfassen sollte, er wetterte gegen "Roma ladrona", das "räuberische Rom", leistete sich rassistische Ausfälle (auch gegen die eigenen Landsleute im Süden) und führte in seiner Partei seltsame esoterische Bräuche ein, die er als "keltisch" ausgab.

Bossi war mehrfach Minister, langjähriger Senator und auch zweimal Mitglied des Europaparlaments. Im Jahr 2012 musste der Parteigründer wegen eines Korruptionsskandals zurücktreten, bei der Parlamentswahl 2013 stürzte die Lega auf vier Prozent ab. Als die Partei am Boden war, übernahm Matteo Salvini das Kommando. Er richtete die Lega Nord neu aus, verschärfte drastisch deren bereits bestehenden Rechtskurs, setzte auf populistische Parolen und niedere Instinkte. Gleichzeitig gründete er im ganzen Land und besonders im Süden neue Sektionen, strich die Vokabel "Nord" aus dem Parteinamen und ersetzte diese mit dem Zusatz "Salvini Premier". Der Erfolg war durchschlagend: 2018 gewann Salvini zusammen mit der ebenfalls populistischen Fünf-Sterne-Protestbewegung die Parlamentswahl und bildete mit dieser die neue Regierung. Ein Jahr später wurde die Lega bei der Europawahl mit 34 Prozent stärkste Partei im Land.

Rasante Talfahrt

Doch dann kam Giorgia Meloni. Die italienischen Rechtswähler, die zuvor Salvini als "Capitano" und Retter Italiens verehrt hatten, erkannten in der Römerin eine seriösere und kompetentere Alternative und liefen in Scharen zu Melonis postfaschistischen Fratelli d'Italia über. Beim Wahlsieg der Rechtskoalition vor eineinhalb Jahren war Salvinis Lega wenigstens noch auf knapp neun Prozent gekommen, inzwischen liegt sie in Umfragen bei sieben Prozent – Tendenz weiterhin sinkend. Die 34 Prozent der Europawahl 2019 hatten Salvini innerhalb der Partei unangreifbar gemacht. Doch nun, angesichts des Niedergangs, erhebt die Parteibasis im Norden, die sich mit Salvinis extremem Rechtskurs und mit seiner demonstrativen Nähe zu Wladimir Putin nie hat anfreunden können, immer lauter ihre Stimme.

Aus der zunächst verhaltenen Kritik ist inzwischen eine offene Revolte geworden: Bereits im März hatten 21 prominente ehemalige Lega-Parlamentarier und -Amtsträgerinnen Salvini in einem offenen Brief zu einem Kurswechsel aufgefordert. Das Einzige, was den Parteichef nun noch retten könnte, wäre ein unerwartet gutes Abschneiden der Lega bei der Europawahl im Juni. Dass Bossi wenige Wochen vor dem entscheidenden Urnengang seinen Kopf fordert, dürfte dabei aber wenig hilfreich sein. Salvini hat sich "ein zweistelliges Resultat" zum Ziel gesetzt – das scheint mit jedem Tag in weitere Ferne zu rücken. (Dominik Straub, 15.4.2024)