In Steyr, wo er 1957 geboren wurde, gab es in den 1970er-Jahren "noch mehrere Buchhandlungen". Und dort hat er für einen Oberösterreicher recht seltsame Bücher bestellt: "Im Gymnasium war ich nämlich ein großer Fan von Burroughs, Kerouac und Ginsberg, und die haben sie nicht lagernd gehabt." Er hat dann sogar versucht, diese Bücher im Englischunterricht zu platzieren, aber er wurde nie erhört. "Stattdessen haben wir immer den fadesten englischsprachigen Autor überhaupt lesen müssen, William Somerset Maugham."

Herwig Kempinger
Herwig Kempinger mit seinen Buchtipps.
Privat

Als er dann 1975 nach Wien kam, "gab es auch hier noch viele Buchhandlungen, allein am Graben waren es fünf". Und dort kam er "mit Literatur in Kontakt, die man vorher nicht kannte. Nicht nur Romane freilich, sondern auch Non-Fiction, die man lesen musste." Die Angewandte, für die er sich damals entschied, hat er als Ort des Aufbruchs in Erinnerung mit Peter Weibel, Bazon Brock, Beuys oder Peter Gorsen. "Da musste man Bücher lesen wie Die nicht mehr schönen Künste oder solche über Farbenchemie, darstellende Geometrie oder Anatomie. Ich schätze sehr, dass ich das alles lernen musste, weil das ja heute alles verschwunden ist."

Mrs. Bridge ist 1959 erschienen und wurde damals "nicht einmal ignoriert, erst in den 1980er-Jahren wurde es wieder aufgelegt und blieb ein Geheimtipp". Er selbst las das Buch vor zehn Jahren auf Empfehlung von Freunden, "und es ist einfach hinreißend. Es gibt kein vergleichbares Buch, das mit so feiner Feder und Ironie, vollkommen unprätentiös und auf den Punkt gebracht ein herrliches Gesellschaftsbild der amerikanischen ‚upper middle class‘ der 1930er- und 1940er-Jahre liefert. Es geht um ‚class restrictions‘ und Zwänge, die das Leben so komisch machen. Es gibt keine wirkliche Handlung, man nimmt einfach in 117 kurzen Episoden, die in absoluter Präzision geschrieben sind, am Leben der Mrs. Bridge teil, es ist ein einmaliges Vergnügen." Zehn Jahre später ließ Connell Mr. Bridge die genau gleichen Ereignisse aus seiner Perspektive erzählen, aber das ist dann eine andere Geschichte. (Manfred Rebhandl, 20.4.2024)